Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
Ausbildung zu verwerten. Wenn ich aber offen sein soll, so muß ich sagen, ich glaube, man hätte es nur versucht. Man hätte Euch hierher berufen, Ihr wäret auch gekommen, und zwar als gewöhnlicher Bittsteller, wie es Hunderte gibt, ohne allen festlichen Empfang, man hätte mit Euch gesprochen, hätte Euer ehrliches Streben anerkannt, hätte aber doch auch gleichzeitig gesehen, daß Ihr ein alter Mann seid, daß in diesem Alter der Beginn eines wissenschaftlichen Studiums aussichtslos ist und daß Ihr vor allem mehr zufällig als planmäßig zu Eurer Entdeckung gelangt seid und über diesen Einzelfall hinaus nicht einmal weiter zu arbeiten beabsichtigt. Man hätte Euch aus diesen Gründen wohl im Dorf gelassen. Eure Entdeckung allerdings wäre weitergeführt worden, denn so klein ist sie nicht, daß sie, einmal zur Anerkennung gekommen, jemals vergessen werden könnte. Aber Ihr hättet nicht mehr viel von ihr erfahren, und was Ihr erfahren hättet, hättet Ihr kaum verstanden. Jede Entdeckung wird gleich in die Gesamtheit der Wissenschaften geleitet und hört damit gewissermaßen auf, Entdeckung zu sein, sie geht im Ganzen auf und verschwindet, man muß schon einen wissenschaftlich geschulten Blick haben, um sie dann noch zu erkennen. Sie wird gleich an Leitsätze geknüpft, von deren Dasein wir noch gar nicht gehört haben, und im wissenschaftlichen Streit wird sie an diesen Leitsätzen bis in die Wolken hinaufgerissen. Wie wollen wir das begreifen? Wenn wir gelehrten Diskussionen zuhören, glauben wir zum Beispiel, es handle sich um die Entdeckung, aber unterdessen handelt es sich um ganz andere Dinge, und ein nächstes Mal glauben wir, es handle sich um anderes, nicht um die Entdeckung, nun handelt es sich aber gerade um sie.
    Versteht Ihr das? Ihr wäret im Dorf geblieben, hättet mit dem erhaltenen Geld Euere Familie ein wenig besser ernähren und kleiden dürfen, aber Eure Entdeckung wäre Euch entzogen gewesen, ohne daß Ihr Euch mit irgendwelcher Berechtigung dagegen hättet wehren können, denn erst in der Stadt kam sie zu ihrer wirklichen Geltung. Und man wäre vielleicht gegen Euch gar nicht undankbar gewesen, man hätte etwa über der Stelle, wo die Entdeckung gemacht worden ist, ein kleines Museum bauen lassen, es wäre eine Sehenswürdigkeit des Dorfes geworden, Ihr wäret der Schlüsselbewahrer gewesen und, um es auch an äußeren Ehrenzeichen nicht fehlen zu lassen, hätte man Euch eine kleine, an der Brust zu tragende Medaille verliehen, wie sie die Diener der wissenschaftlichen Institute zu tragen pflegen. Das alles wäre möglich gewesen; war es aber das, was Ihr wolltet?«
    Ohne sich mit einer Antwort aufzuhalten, wandte er ganz richtig ein: »Und das suchtet Ihr also für mich zu erreichen?«
    »Vielleicht«, sagte ich, »ich habe damals nicht so sehr aus Überlegungen gehandelt, als daß ich Euch jetzt bestimmt antworten könnte. Ich wollte Euch helfen, es ist aber mißlungen und ist sogar das Mißlungenste, was ich jemals getan habe. Darum will ich jetzt davon zurücktreten und es ungeschehen machen, soweit meine Kräfte reichen.«
    »Nun gut«, sagte der Dorfschullehrer, nahm seine Pfeife heraus und begann, sie mit dem Tabak zu stopfen, den er lose in allen Taschen mit sich trug. »Ihr habt Euch freiwillig der undankbaren Sache angenommen und tretet jetzt auch freiwillig zurück. Es ist alles ganz richtig!« »Ich bin nicht starrköpfig«, sagte ich. »Findet Ihr an meinem Vorschlag vielleicht etwas auszusetzen?« »Nein, gar nichts«, sagte der Dorfschullehrer, und seine Pfeife dampfte schon. Ich vertrug den Geruch seines Tabaks nicht und stand deshalb auf und ging im Zimmer herum. Ich war es schon von früheren Besprechungen her gewöhnt, daß der Dorfschullehrer mir gegenüber sehr schweigsam war und sich doch, wenn er einmal gekommen war, aus meinem Zimmer nicht fortrühren wollte. Es hatte mich schon manchmal sehr befremdet; er will noch etwas von mir, hatte ich dann immer gedacht und ihm Geld angeboten, das er auch regelmäßig annahm. Aber weggegangen war er immer erst dann, wenn es ihm beliebte. Gewöhnlich war dann die Pfeife ausgeraucht, er schwenkte sich um den Sessel herum, den er ordentlich und respektvoll an den Tisch rückte, griff nach seinem Knotenstock in der Erde, drückte mir eifrig die Hand und ging. Heute aber war mir sein schweigsames Dasitzen geradezu lästig. Wenn man einmal jemandem den endgültigen Abschied anbietet, wie ich es getan hatte, und dies vom andern als

Weitere Kostenlose Bücher