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Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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auch ein Läufer.« Vor Stolz gab er Karl einen weit ausgeholten Schlag auf den Rücken. »Von Zeit zu Zeit ist ein solches Wettrennen mit der Polizei eine gute Übung.«
    »Ich war schon müde, wie ich zu laufen anfing«, sagte Karl.
    »Für schlechtes Laufen gibt es keine Entschuldigung«, sagte Delamarche.
    »Wenn ich nicht wäre, hätten sie dich schon längst gefaßt.«
    »Ich glaube auch«, sagte Karl. »Ich bin Ihnen sehr verpflichtet.«
    »Kein Zweifel«, sagte Delamarche.
    Sie gingen durch einen langen, schmalen Flurgang, der mit dunklen, glatten Steinen gepflastert war. Hie und da öffnete sich rechts oder links ein Treppenaufgang oder man erhielt einen Durchblick in einen anderen, größeren Flur. Erwachsene waren kaum zu sehen, nur Kinder spielten auf den leeren Treppen. An einem Geländer stand ein kleines Mädchen und weinte, daß ihr vor Tränen das ganze Gesicht glänzte. Kaum hatte sie Delamarche bemerkt, als sie, mit offenem Munde nach Luft schnappend, die Treppe hinauflief und sich erst hoch oben beruhigte, als sie nach häufigem Umdrehen sich überzeugt hatte, daß ihr niemand folge oder folgen wolle.
    »Die habe ich vor einem Augenblick niedergerannt«, sagte Delamarche lachend und drohte ihr mit der Faust, worauf sie schreiend weiter hinauflief.
    Auch die Höfe, durch die sie kamen, waren fast gänzlich verlassen. Nur hie und da schob ein Geschäftsdiener einen zweirädrigen Karren vor sich her, eine Frau füllte an der Pumpe eine Kanne mit Wasser, ein Briefträger durchquerte mit ruhigen Schritten den ganzen Hof, ein alter Mann mit weißem Schnauzbart saß mit übergeschlagenen Beinen vor einer Glastür und rauchte eine Pfeife, vor einem Speditionsgeschäft wurden Kisten abgeladen, die unbeschäftigten Pferde drehten gleichmütig die Köpfe, ein Mann in einem Arbeitsmantel überwachte mit einem Papier in der Hand die ganze Arbeit; in einem Büro war das Fenster geöffnet, und ein Angestellter, der an seinem Schreibpult saß, hatte sich von ihm abgewendet und sah nachdenklich hinaus, wo gerade Karl und Delamarche vorübergingen. »Eine ruhigere Gegend kann man sich gar nicht wünschen«, sagte Delamarche. »Am Abend ist ein paar Stunden lang großer Lärm, aber während des Tages geht es hier musterhaft zu.«
    Karl nickte, ihm schien die Ruhe zu groß zu sein. »Ich könnte gar nicht anderswo wohnen«, sagte Delamarche, »denn Brunelda verträgt absolut keinen Lärm. Kennst du Brunelda? Nun, du wirst sie ja sehen. Jedenfalls empfehle ich dir, dich möglichst still aufzuführen.«
    Als sie zu der Treppe kamen, die zur Wohnung Delamarches führte, war das Automobil bereits weggefahren, und der Bursche mit der zerfressenen Nase meldete, ohne über Karls Wiedererscheinen irgendwie zu staunen, er habe Robinson die Treppe hinaufgetragen. Delamarche nickte ihm bloß zu, als sei er sein Diener, der eine selbstverständliche Pflicht erfüllt habe, und zog Karl, der ein wenig zögerte und auf die sonnige Straße sah, mit sich die Treppe hinauf. »Wir sind gleich oben«, sagte Delamarche einige Male während des Treppensteigens, aber seine Voraussage wollte sich nicht erfüllen, immer wieder setzte sich an eine Treppe eine neue in nur unmerklich veränderter Richtung an. Einmal blieb Karl sogar stehen, nicht eigentlich vor Müdigkeit, aber vor Wehrlosigkeit gegenüber dieser Treppenlänge. »Die Wohnung liegt ja sehr hoch«, sagte Delamarche, als sie weitergingen, »aber auch das hat seine Vorteile. Man geht sehr selten aus, den ganzen Tag ist man im Schlafrock, wir haben es sehr gemütlich. Natürlich kommen in diese Höhe auch keine Besuche herauf.«
    >Woher sollten denn die Besuche kommen?< dachte Karl. Endlich erschien auf einem Treppenabsatz Robinson vor einer geschlossenen Wohnungstür, und nun waren sie angelangt; die Treppe war noch nicht einmal zu Ende, sondern führte im Halbdunkel weiter, ohne daß irgend etwas auf ihren baldigen Abschluß hinzudeuten schien. »Ich habe es mir ja gedacht«, sagte Robinson leise, als bedrückten ihn noch Schmerzen. »Delamarche bringt ihn! Roßmann, was wärest du ohne Delamarche!« Robinson stand in Unterkleidung da und suchte sich nur, soweit es möglich war, in die kleine Bettdecke einzuwickeln, die man ihm aus dem Hotel Occidental mitgegeben hatte; es war nicht einzusehen, warum er nicht in die Wohnung ging, statt hier vor möglicherweise vorüberkommenden Leuten sich lächerlich zu machen. »Schläft sie?« fragte Delamarche.
    »Ich glaube nicht«, sagte

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