Sämtliche Werke
Robinson, »aber ich habe doch lieber gewartet, bis du kommst.«
»Zuerst müssen wir schauen, ob sie schläft«, sagte Delamarche und beugte sich zum Schlüsselloch. Nachdem er lange unter verschiedenartigen Kopfdrehungen hindurchgeschaut hatte, erhob er sich und sagte: »Man sieht sie nicht genau, das Rouleau ist heruntergelassen. Sie sitzt auf dem Kanapee, aber vielleicht schläft sie.«
»Ist sie denn krank?« fragte Karl, denn Delamarche stand da, als bitte er um Rat. Nun aber fragte er in scharfem Tone zurück: »Krank?«
»Er kennt sie ja nicht«, sagte Robinson entschuldigend.
Ein paar Türen weiter waren zwei Frauen auf den Korridor getreten, sie wischten die Hände an ihren Schürzen rein, sahen auf Delamarche und Robinson und schienen sich über sie zu unterhalten. Aus einer Tür sprang ein noch ganz junges Mädchen mit glänzendem blondem Haar und schmiegte sich zwischen die zwei Frauen, indem es sich in ihre Arme einhängte. »Das sind widerliche Weiber«, sagte Delamarche leise, aber offenbar nur aus Rücksicht auf die schlafende Brunelda, »nächstens werde ich sie bei der Polizei anzeigen und werde für Jahre Ruhe vor ihnen haben. Schau nicht hin«, zischte er dann Karl an, der nichts Böses daran gefunden hatte, die Frauen anzuschauen, wenn man nun schon einmal auf dem Gang auf das Erwachen Bruneldas warten mußte. Und ärgerlich schüttelte er den Kopf, als habe er von Delamarche keine Ermahnungen anzunehmen, und wollte, um dies noch deutlicher zu zeigen, auf die Frauen zugehen, da hielt ihn aber Robinson mit den Worten »Roßmann, hüte dich!« am Ärmel zurück, und Delamarche, schon durch Karl gereizt, wurde über ein lautes Auflachen des Mädchens so wütend, daß er mit großem Anlauf, Arme und Beine werfend, auf die Frauen zueilte, die jede in ihre Türe wie weggeweht verschwanden.
»So muß ich hier öfters die Gänge reinigen«, sagte Delamarche, als er mit langsamen Schritten zurückkehrte; da erinnerte er sich an Karls Widerstand und sagte:
»Von dir aber erwarte ich ein ganz anderes Benehmen, sonst könntest du mit mir schlechte Erfahrungen machen.«
Da rief aus dem Zimmer eine fragende Stimme in sanftem, müdem Tonfall: »Delamarche?«
»Ja«, antwortete Delamarche und sah freundlich die Tür an, »können wir eintreten?«
»O ja«, hieß es, und Delamarche öffnete, nachdem er noch die zwei hinter ihm Wartenden mit einem Blick gestreift hatte, langsam die Tür.
Man trat in vollständiges Dunkel ein. Der Vorhang der Balkontür, ein Fenster war nicht vorhanden, war bis zum Boden hinabgelassen und wenig durchscheinend, außerdem aber trug die Überfüllung des Zimmers mit Möbeln und herumhängenden Kleidern viel zu seiner Verdunkelung bei. Die Luft war dumpf, und man roch geradezu den Staub, der sich hier in Winkeln, die offenbar für jede Hand unzugänglich waren, angesammelt hatte. Das erste, was Karl beim Eintritt bemerkte, waren drei Kasten, die knapp hintereinander aufgestellt waren. Auf dem Kanapee lag die Frau, die früher vom Balkon hinuntergeschaut hatte. Ihr rotes Kleid hatte sich unten ein wenig verzogen und hing in einem großen Zipfel bis auf den Boden, man sah ihre Beine fast bis zu den Knien, sie trug dicke weiße Wollstrümpfe; Schuhe hatte sie keine.
»Das ist eine Hitze, Delamarche«, sagte sie, wandte das Gesicht von der Wand, hielt ihre Hand lässig in Schwebe gegen Delamarche hin, der sie ergriff und küßte. Karl sah nur ihr Doppelkinn an, das bei der Wendung des Kopfes auch mitrollte. »Soll ich den Vorhang vielleicht hinaufziehen lassen?« fragte Delamarche. »Nur das nicht«, sagte sie mit geschlossenen Augen und wie verzweifelt, »dann wird es ja noch ärger.«
Karl war zum Fußende des Kanapees getreten, um die Frau genauer anzusehen, er wunderte sich über ihre Klagen, denn die Hitze war gar nicht außerordentlich.
»Warte, ich werde es dir ein wenig bequem machen«, sagte Delamarche ängstlich, öffnete oben am Hals ein paar Knöpfe und zog dort das Kleid auseinander, so daß der Hals und der Ansatz der Brust frei wurde und ein zarter, gelblicher Spitzensaum des Hemdes erschien. »Wer ist das«, sagte die Frau plötzlich und zeigte mit dem Finger auf Karl, »warum starrt er mich so an?«
»Du fängst bald an, dich nützlich zu machen«, sagte Delamarche und schob Karl beiseite, während er die Frau mit den Worten beruhigte: »Es ist nur der Junge, den ich zu deiner Bedienung mitgebracht habe.«
»Aber ich will doch niemanden haben!« rief sie.
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