Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
überprüft. Ich hatte ihn ihr zusätzlich zu meinem Personalausweis gereicht, damit es ihr leichter fällt, mich gesellschaftlich einzuordnen – aber vergebens.
Mit einem mürrischen »Die ersten Flieger gehen doch erst ab sechs?!«, hatte sie mich dann widerwillig am Sendlinger Tor entlassen.
Ich glaube, wenn ich beim nächsten Mal erzähle, ich käme von einer Faschingsparty im November, bin ich schneller frei.
An einer kleinen versteckten Döner-Bude hole ich mir den ersten Kaffee des Tages. Der Betreiber hat erst kürzlich erkannt, welch guter Umsatz sich mit nachts zur Arbeit fahrenden Stewardessen machen lässt, und ein paar Presseerzeugnisse in sein Sortiment aufgenommen. Ich entscheide mich für die Gala.
Gottlob geht es heute nur nach London und zurück und dann noch nach Berlin und zurück, so dass ich es zum Germany’s Next Topmodel -Finale vor den heimischen Fernseher schaffen sollte, um zu sehen, ob die Halbbrasilianerin gewinnt.
Ich lasse mich auf einer der kleinen grünen drahtigen Sitzgelegenheiten am Gleis nieder und registriere, dass mal wieder alle Bildschirme ausgefallen sind, die die Abfahrtszeiten anzeigen. Immerhin informiert eine Ansage darüber, dass die Bahn rund acht Minuten Verspätung hat.
Gut, dass ich immer genug Zeit einplane.
Der Bahnbeamte, der aus seinem Häuschen tritt und den man wirklich nicht anders beschreiben kann als kompetent, nett und geduldig, tut mir spontan leid. Er hat gerade die Tür seines Kabuffs hinter sich zugezogen, da wird er auch schon von Reisenden bestürmt.
Leider weiß ich genau, wie es ist, wenn man sich zwanzig Leuten und dreißig Beschwerden gegenübersieht, von denen man für keine persönlich etwas kann. Also lächele ich ihn aufmunternd an – so von Uniformierter zu Uniformiertem sozusagen –, und er lächelt tatsächlich verschwörerisch zurück, bevor ich beschließe, dass es an der Zeit ist, die Gala nach Anti-Aging-Pröbchen zu durchforsten.
Bedauerlicherweise erkennen viele der anderen wartenden ÖPNV-Nutzer nicht, wie sehr sich die rot gestreifte, ansonsten graue Uniform des Bahnbediensteten mit DB-Mütze von der meinen unterscheidet, und schon bin auch ich umringt von zornigen Menschen:
»Entschuldigung, fährt die S1 nicht auch zum Flughafen?«, »Wann kommt denn jetzt die Nächste?« und »Is this the train to the airport?«
Vielleicht frage ich einfach zurück: »Haben Sie ein Skyline-Ticket? Nein? Tut mir leid, dann kann ich Ihre Frage nicht beantworten.«
Doch leider hat sich der Skyline-Leitgedanke wirklich tief in mein Gehirn gebrannt: Bitte denken Sie daran: Wann immer Sie die Uniform tragen, wird man Sie nur als eines wahrnehmen: als einen Skyline-Engel. Sie repräsentieren Skyline. An Bord, im Hotel, überall! Also – schweben Sie!
Ich seufze, lasse meine aufgespürten Proben sinken und strahle müde in die Runde. »Ja, soweit ich weiß, kommt die Bahn in acht Minuten. Aber ich bin nicht von der Bahn, ich weiß leider nicht, wie das mit der S1 ist.«
Entrüstet wendet sich eine Frau im Hosenanzug ab. »Typisch! Zu spät und dann auch noch pampig!«
Netterweise nimmt mich eine andere Dame in Schutz: »Ich bitte Sie! Die Dame ist doch gar nicht von der Bahn. Ich finde, wenn man ein bisschen was im Kopf hat, sieht man gleich, dass sie Politesse ist!«
Vor sich hinbrummelnd verlassen beide den Ring, und ein amerikanisches Rucksackpärchen bleibt zurück: »So, you don’t know?«
»I do know. But I’m a flight attendant, not a train attendant!«
Das Pärchen lacht amüsiert, und ich fahre großmütig fort: »Yes, this is the train to the airport, it’ll just arrive a few minutes later.« Immerhin finde ich bei ihnen Gnade.
Da die Bahn jede Minute kommen muss, lohnt es sich jetzt nicht mehr, mich noch in tiefgründigen Klatsch und Tratsch zu vertiefen. Ich ziehe mein Flight-Kit näher zu mir, lege die Zeitschrift geschlossen auf meine Knie und nippe an meinem wirklich miesen Filterkaffee, der inzwischen auch noch kalt ist.
Alles in allem ein Anblick, der vermuten lässt, ich als Privatperson legte einfach nur Wert auf Stoffhosen mit Bügelfalte. Doch wie immer, weit gefehlt.
Ein Japaner mit Bord-Trolley kommt auf mich zu, setzt sich direkt neben mich. Ich mustere ihn flüchtig. Dann fällt mein Blick wieder auf die Displays am Bahngleis, die nun munter zu werden scheinen.
Auf einmal spüre ich einen leichten Zug auf meinen Knien. Der Japaner hat die Gala ergriffen und zieht sie wortlos zu sich herüber. Ich bin
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