Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
ziemlich perplex. In aller Seelenruhe fängt er an, sie durchzublättern.
»Ähem …«, mache ich auf mich aufmerksam. »Excuse me, Sir? Can I have it back?«
Der Japaner zeigt keine Reaktion und blättert durch die neuesten Make-up-Tipps von Boris Entrup.
Ich muss wohl deutlicher werden. Natürlich weiß ich aus den interkulturellen Trainings von Skyline und unseren Meetings auf dem Flur mit den Indern, dass die Japaner ein kollektiv denkendes Volk sind. Sie teilen gerne und heben auch mal den Müll von jemand anderem auf, der auf dem Gehsteig liegt. An Bord gestaltet sich diese Denkweise so: Schlafen auf einem Nachtflug nach Tokio alle Passagiere, und man huscht leise mit einem Safttablett durch die Kabine, wird sich niemand, der wach ist, eines nehmen, ohne erst alle anderen zu wecken.
Aber das Teilen von Boulevardzeitschriften im Wachzustand mit weltbewegenden Neuigkeiten aus der Promiszene geht mir als Europäerin eindeutig zu weit!
»Sir? Could you please give me back my magazine?«
Der Japaner schaut kurz unbeeindruckt auf, kramt in seiner Tasche und zieht ein Skyline-Ticket hervor.
In diesem Moment fährt endlich die Bahn ein, und ich beschließe zu handeln und ziehe einfach meine Zeitschrift wieder von seinem Schoß auf meinen.
Wütend springt er auf, nimmt seine Sachen, greift noch einmal nach der Zeitschrift, schlägt gezielt eine Seite auf, nimmt eine Parfumprobe heraus, wirft sie mir wieder zu und verschwindet unter lautem Schimpfen in die S8:
»Never again fly Skyline! Skyline so unfriendly! I bought Ticket, I want magazine! Newspapers included!«
Obwohl ich ziemlich fassungslos bin, renne auch ich schnurstracks in die Bahn, kurz bevor die Türen schließen. Dann suche ich mir ein möglichst einsames Plätzchen in der Gegenrichtung, in die der Japaner verschwunden ist. Ich muss mich erst mal von dem Schreck erholen und lasse die Gala in mein Flight-Kit verschwinden …
Die Auswahl der Lektüre ist ohnehin sehr wichtig im öffentlichen Nahverkehr. Zu schnell können Titel wie Das große Sex-Lexikon von Erika Berger , das man schon immer mal lesen wollte, das Image einer internationalen Airline ramponieren. Vom eigenen ganz zu schweigen. Für gewöhnlich tarne ich meine Lieblingslektüre ( Prada, Pumps und Babypuder) in einem Brockhaus -Umschlag und bekämpfe auf diesem Wege auch effizient Vorurteile bezüglich des IQ von Stewardessen, die Umsitzende gerne haben.
Sicherheitshalber nehme ich auch noch meinen Discman aus der Tasche, allerdings nur, um etwas unnahbarer zu wirken, da ich persönlich nicht gleichzeitig lesen und Musik hören kann. Natürlich ist so ein Gerät längst »völlig old school«, wie mich Julian schon vor Jahren aufgeklärt hat, aber aufgrund meiner Abneigung gegenüber iProlls, kann ich mich nicht entschließen, mir einen MP3-Player zu kaufen.
Kurz vorm Flughafen erschrecke ich zu Tode. Ich hatte es gerade wieder gewagt, mich in die vermeintliche Affäre von David Beckham zu vertiefen, da nimmt mir jemand den Stöpsel aus dem linken Ohr und blökt missmutig:
»Ich hab Sie was gefragt!«
Nun, auch einem Skyline-Engel reicht es gelegentlich. Vermutlich vergraule ich jetzt durch mein unkontrolliertes und unfreundliches Handeln einen potenziellen Kunden und die nächsten Quartalszahlen werden dramatisch einbrechen, aber damit muss man leben können. Entgeistert sehe ich den Mann an, der noch einmal dazu ansetzt, mich irgendetwas bezüglich des Liegeplatzes der Queen Mary 2 vor Gibraltar zu fragen – und entgegne knapp, in meinem besten texanischen Akzent:
»Sorry, Sir, I don’t know. I’m from Houston.« Ich denke, sogar Shawne Borer-Fielding hätte es nicht glaubwürdiger formulieren können. Der Stöpsel-Stöhrer jedenfalls dreht ab.
Unter den unverhohlenen Blicken der anderen Fahrgäste, verstaue ich meine Steppjacke im Flight-Kit, da es nicht gestattet ist, private Garderobe zur Uniform zu kombinieren. Allerdings trifft die offizielle Skyline-Winterjacke mit Puffärmelchen, mit der ich aussehe wie eine Kreuzung aus Rotkäppchen und dem Michelin-Mann, nicht unbedingt meinen Geschmack. Und außerdem, so hatte ich mir erhofft, verhilft mir meine private Jacke über der restlichen Uniform zu einer Inkognito-Fahrt. Was offensichtlich nicht geklappt hat.
So wenig wie das letzte Mal, als ich damit das Haus verließ.
Ich war zu einer ähnlichen, etwas später beginnenden Tagestour aufgebrochen, als mich kurz vor Erreichen meiner U-Bahnstation ein älteres Ehepaar
Weitere Kostenlose Bücher