Sagen des klassischen Altertums
Alter und Traurigkeit niedergebeugt gestorben sei, das ahnt mir ja im Geiste.« So sprach er weinend, und die Fürsten im Kreise seufzten mit, denn jeder dachte daran, was er im eigenen Hause von Geliebten zurückgelassen. Mitleidig sah Zeus von seiner Höhe auf die Trauernden herab, wandte sich schnell zu seiner Tochter Pallas und sagte: »Kümmert sich denn dein Herz gar nicht mehr um den edlen Helden, trautes Töchterchen, der dort, während die andern zum Frühmahl hingingen, um seinen Freund wehklagend dasitzt, ohne Speise und Trank zu berühren? Auf, labe ihm sogleich die Brust mit Nektar und Ambrosia, daß ihm in der Schlacht kein Hunger nahe!«
Wie ein Adler mit breiten Flügeln schwang sich die Göttin, die längst darnach verlangt hatte, ihrem Freunde zu helfen, durch den Äther, und während das Heer sich eifrig zur Schlacht rüstete, flößte sie Nektar und Ambrosia sanft und unvermerkt in die Brust des Peliden, daß seine Knie ihm nicht im Treffen von Hunger erstarrten. Dann kehrte sie zum Palast ihres allmächtigen Vaters heim. Inzwischen drangen, Helm an Helm, Schild an Schild, Harnisch an Harnisch und Lanzen an Lanzen, die Danaer aus den Schiffen hervor; das ganze Erdreich leuchtete von Erz und dröhnte von Erz unter ihren Fußtritten. Mitten unter den Dahineilenden bewaffnete sich Achill, mit den Zähnen knirschend und Glut in den Augen wie feurige Lohe.
Er ergriff das Göttergeschenk, legte zuerst Schienen und Knöchelbedeckung an, dann bekleidete er die Brust mit dem Harnisch, warf das Schwert um die Schulter und ergriff den Schild, der dem vollen Mond ähnlich durch den Äther glänzte. Hierauf setzte er den schweren Helm mit dem hohen goldenen Busch, strahlend wie ein Gestirn, aufs Haupt, und die Mähne flatterte aus gesponnenem Golde von ihm herab. Nun versuchte er sich selbst in der Rüstung, ob sie ihm auch genug anpaßte und sich die Glieder ungehemmt bewegten: und siehe, seine Waffen deuchten ihm wie Flügel und schienen ihn vom Boden emporheben zu wollen. Jetzt zog er den schweren gediegenen Speer seines Vaters Peleus, den kein anderer Danaer schwingen könnte, aus dem schönen Gehäuse; Automedon und Alkimos schirrten die Rosse ein, legten jedem den Zaum ins Maul und spannten die Zügel über den Wagensitz. In diesen sprang Automedon, die blanke Geißel fassend, und in Waffen strahlend schwang sich hinter ihm Achill auf »Ihr unsterblichen Rosse«, rief dieser dem Gespanne seines Vaters zu, »ich sag es euch, bringt mir, nachdem wir uns in der Schlacht gesättigt haben, die Helden, die ihr führet, anders ins Heer zurück, als Patroklos heimgekehrt ist, den ihr tot im Gefilde liegen ließet.« Wie der Held so sprach, ward ihm ein grauenhaftes Wunderzeichen zuteil: sein Roß Xanthos neigte das Haupt tief zur Erde, daß die wallende Mähne ganz aus dem Ringe des Joches hervordrang und bis auf den Boden hinuntersank; und von der Göttin Hera plötzlich mit Sprache begabt, erteilte es ihm unter dem Joch die traurige Antwort: »Wohl, starker Achill, führen wir jetzt dich, den Lebenden, rüstig dahin; aber der Tag des Verderbens ist dir nahe. Nicht unsere Säumnis oder Fahrlässigkeit, sondern das Verhängnis und die Allmacht der Götter hat dem Patroklos das Leben geraubt und dem Hektor Siegesruhm gegeben. Wir können mit Zephyros, dem schnellsten der Winde, um die Wette laufen und ermüden nicht. Dir aber ist vom Geschicke bestimmt, unter der Hand eines Gottes zu erliegen.« So sprach das Roß und wollte noch 198
Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
weitersprechen, aber die Macht der Rachegöttinnen hemmte seinen Laut, und Achill antwortete voll Unmut:
»Xanthos, was redest du mir da vom Tode? Es bedarf deiner Weissagung nicht, weiß ich doch selbst, daß mich, ferne von Vater und Mutter, das Schicksal hier wegraffen wird. Doch auch so raste ich nicht, bis Trojaner genug im Kampfe erlegen sind!« So sprach er und lenkte mit lautem Ruf die stampfenden Rosse vorwärts.
SCHLACHT DER GÖTTER UND MENSCHEN
Im Olymp hatte Zeus eine Götterversammlung berufen, in welcher er den Olympischen erlaubte, beiden Teilen, Trojanern und Griechen, zu helfen, wie einen jeden die Gesinnung triebe; denn wenn Achill, ohne daß die Götter Anteil an der Schlacht nähmen, die Trojaner jetzt bekämpfte, so würde er selbst gegen das Schicksal Troja auf der Stelle erobern. Auf dies Zugeständnis gingen die Götter sogleich zweierlei Wege: Hera die Göttermutter, Pallas Athene, Poseidon, Hermes und
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