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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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Holzstoße herab in die einsamen Lüfte die Abschiedsworte: »Ihr süßen Überbleibsel glücklicherer Tage, nehmet dies Leben von mir, erlöset mich von aller Betrübnis! Dido hat ausgelebt, hat den vorgeschriebenen Lauf des Schicksals geendigt. Nicht als ein kleiner Schatten wird sie zur Unterwelt hinabsteigen! Ich habe eine herrliche Stadt gegründet, habe Mauern erblickt, von mir aufgebaute, habe meinen Gemahl Sychäus gerächt, meinen feindseligen Bruder bestraft! In allem wäre ich glücklich gewesen, wäre der Trojaner mit seiner Flotte nicht an Libyens Küste gelandet!« –
    Sie konnte vor Schmerz nicht weitersprechen, drückte ihr Gesicht in den Pfühl und stieß sich das Schwert in die Brust.
    Auf ihr Stöhnen eilten ihre Dienerinnen aus dem Palast und sahen sie zusammengesunken, den Stahl von Blut gerötet, die Hände bespritzt. Lautes Jammergeschrei tönte durch die Gemächer und tobte durch die erschütterte Stadt. Mitten im Laufe – denn sie war auf den Ruf der Alten mit dem letzen Opfergeräte herbeigeeilt – vernahm Anna die entsetzliche Tat. Sie schlug sich die Brust mit den Fäusten, zerfleischte mit den Nägeln ihr Antlitz und stürzte durch das Gedränge des sich sammelnden Volkes in den Hof der Königsburg hinab. »Schwester, Schwester!« rief sie der Sterbenden schon von weitem zu, »was hast du getan, wie hast du mich betrogen? Warum hast du mich nicht zur Gefährtin deines Todes erkoren? Du hast mich doch getötet; das Volk, deine Väter, die ganze Stadt hast du gemordet!« Unter solchen Wehklagen erstieg sie die Stufen des Holzstoßes und umarmte die kaum noch Atem holende Schwester, die mit Mühe den Blick erhob und deren schwarze Wunde aufs neue zu bluten anfing. Dreimal strebte sie vergebens, sich 353
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    aufzurichten, und hauchte zusammengesunken den Geist in den Armen der Schwester aus.
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    Fünftes Buch
    Äneas – Zweiter Teil
    DER TOD DES PALINURUS. LANDUNG IN ITALIEN. LATINUS. LAVINIA
    Äneas mußte das Ende Didos, das sein Leichtsinn herbeigeführt hatte, obgleich ihm von den Göttern selbst geboten worden war, sie zu verlassen, mit neuen Irrfahrten und wiederholten Unglücksfällen büßen.
    Ein Sturm verschlug ihn rückwärts nach Sizilien, wo er vom Könige Acestes, dessen Mutter eine Trojanerin war, gütig aufgenommen wurde und dem Schatten seines Vaters Anchises, welchen er ein Jahr zuvor bei Drepanum begraben hatte, bei der Wiederkehr dieses Tages herrliche Leichenspiele feierte. Inzwischen warfen die trojanischen Frauen, von der Botin Junos, Iris, angereizt und der langen Seefahrt überdrüssig, Feuer in die Flotte, daß vier der schönsten Schiffe verbrannten; die übrigen rettete Jupiter durch einen Regenguß. In der folgenden Nacht erschien dem kummervollen Helden sein Vater Anchises im Traum und brachte ihm Jupiters Befehl, die älteren Weiber und unkriegerischen Greise in Sizilien zurückzulassen; er selbst solle mit dem Kern der Mannschaft nach Italien segeln.
    Der Held gehorchte dem Götterwinke, gründete zu Ehren seines königlichen Wirtes die Stadt Acesta in Sizilien und bevölkerte sie mit den Greisen und den alten Müttern seiner Flotte; er selbst brach mit den kräftigsten Männern, den Jünglingen, Frauen, Jungfrauen und Knaben der Auswanderung auf und verließ die Küste. Diesmal gewährte ihm Neptunus, durch die Bitten der Liebesgöttin bewältigt, sicheres Meer und glückliche Fahrt. Zuletzt wurden sie bei dem günstigsten Winde und blauesten Himmel so sorglos, daß die Ruderer selbst in einer heitern Nacht sich unter ihre Ruderbänke legten und dem tiefsten Schlafe überließen.
    Der verführerische Gott des Schlafes hatte sich von den am hellen Nachthimmel funkelnden Gestirnen des Äthers herabgesenkt und nahte in der Gestalt des Helden Phorbas selbst dem wachsamen Steuermanne Palinurus, der auf dem hohen Verdeck am Steuer saß: »Sohn des Jasius«, sprach er leise zu ihm, »Siehest du nicht, wie das Meer die Flotte selber treibt und die sanftwehende Luft dich einlädt, endlich einmal auch ein Stündlein dir Ruhe zu gönnen? Lege doch dein Haupt nieder, entziehe die ermüdeten Augen der steten Arbeit; komm, laß mich ein wenig dein Amt für dich übernehmen!« Palinurus vermochte kaum den schläfrigen Blick gegen den Redenden aufzuheben und sprach: »Was sprichst du? Ich soll das tückische Element nicht kennen, wenn es Ruhe heuchelt, und ihm vertrauen?

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