Sagen des klassischen Altertums
Äneas? Bei diesen Tränen, bei deinem Handschlag, bei unserer begonnenen Ehe beschwöre ich dich, wenn ich Gutes um dich verdient habe, wenn etwas an Dido dir süß war, so ändere deine Gesinnung, so erbarme dich meines sinkenden Hauses; um deinetwillen hassen mich die Völker Libyens, ja die Tyrier selbst, um deinetwillen habe ich der Zucht entsagt, die mich unsterblich machte. Gastfreund, denn Gatte bist du nicht mehr, wem lässest du die Sterbende zurück? Soll ich warten, bis mein Bruder Pygmalion meine Mauern stürmt, bis der Numidier Jarbas mich in die Gefangenschaft führt?«
So sprach die verzweifelnde Dido. Äneas aber, von Jupiter gewarnt, zeigte keine Regung in seinem Blicke und preßte den Kummer ins Herz zurück. Endlich erwiderte er kurz: »Solange ich mich selbst kenne, Königin, solange mein Geist in diesen Gliedern sich regt, werde ich Didos Wohltaten nicht vergessen.
Glaube nicht, daß ich mich wie ein Dieb davonstehlen wollte; wir sind nicht vermählt, ich habe nie die Brautfackel angesprochen, nicht zu solchem Bunde bin ich zu dir gekommen. Erlaubte mir das Geschick, nach freier Wahl mein Leben einzurichten, so würde ich zuerst die geliebte Heimat Troja und des Priamus Haus wieder aufrichten; aber nach Italien heißt mich Apollo steuern, dort ist mein Herz und mein Schatz, dort ist mein Vaterland. Darf ich meinen Sohn um das verheißene Reich betrügen? Jupiter selbst verbietet es mir; Merkur, sein Bote, ist mir leibhaftig erschienen. Deswegen quäle dich und mich nicht länger mit Klagen; nicht freiwillig suche ich Italien auf!«
Seitwärts gewendet, blickte schon lange die Königin den Redenden an, ließ die Augen rollen, maß ihn schweigend von der Sohle bis zum Scheitel und brach endlich in die Worte der Entrüstung aus: »Keine Göttin hat dich geboren, nicht Dardanus ist dein Ahn, aus den Felsen des Kaukasus bist du entsprossen, hyrkanische Tiger haben dich gesäugt! Hat er bei meinen Tränen auch geseufzt? Hat er nur das Auge gewendet, die Lebende beweint, bedauert? Als Bettler an den Strand geworfen, habe ich ihn aufgenommen, die Flotte, die Genossen aus dem Rachen des Todes ihm zurückgegeben, ihn zu meines Thrones Gemeinschaft erhoben: und nun schützt er ein Orakel des Apollo, nun gar die Ankunft eines Götterboten vor und einen Befehl der Himmlischen, als ob diesen der Treubruch am Herzen läge! Nun wohl, ich streite nicht; ich halte dich nicht; suche dein Italien im Sturm! Wenn es noch Götter gibt, wird meine Rache dich in den Klippen finden! Mein Schatten zieht dir nach, und wenn du büßest, werd ich es in der Tiefe des Hades vernehmen!« Atem und Stimme versagten der Unglücklichen, und sie wurde von den Armen ihrer Dienerinnen aufgefangen.
Wohl fühlte sich Äneas versucht, den Kummer Didos durch liebreichen Trost zu lindern, und seine eigene große Liebe zu der Königin bewegte ihm den Geist, doch vermochte sie nicht, ihn wankend zu machen; er blieb dem Gebote der Götter treu und ging nach seiner Flotte. Diese war bald segelfertig, und Dido mußte es von der Zinne ihrer Burg mit ansehen, wie das Ufer von den Abziehenden wimmelte.
»Anna«, sprach sie zur herbeigerufenen Schwester, »siehest du das Getümmel längs des ganzen Gestades?
Hörst du die Segel in den Lüften schwirren, siehst du, wie die Schiffer die Verdecke bekränzen? Ach, hätte ich das geahnt, ich würde es auch zu ertragen vermögen! Jetzt aber bitte ich dich, Schwester, tu es mir Armen zulieb; dich hat ja der Verräter immer geehrt, hat dir seine geheimsten Gefühle anvertraut: geh zu ihm, Schwester, rede den stolzen Feind mit untertänigen Worten an. Frag ihn, ob ich denn eine Griechin sei, die zu Aulis Trojas Untergang mitbeschworen habe; ob ich die Asche seines Vaters Anchises frevelnd in die Lüfte gestreut, daß er solche Rache an mir zu nehmen beschlossen? Heiß ihn wenigstens bessere Zeit zur Flucht, günstigere Winde erwarten; ich verlange ja nicht, daß er auf Italien verzichte; ich will nur eine Frist für meine wahnsinnige Liebe, will nur Muße, bis ich mein Schicksal begreifen und trauern gelernt habe!«
Also flehete sie, und die geängstigte Schwester ging und trug dem Helden die Tränen Didos noch einmal vor. Ihn aber vermochte kein Menschenwort ferner zu erweichen; ein Gott verschloß dem gefühlvollen Manne das sonst jedem Schmerz offene Ohr. Wie wenn die Nordwinde den uralten Stamm einer Eiche, von beiden Seiten her ihn fassend, auszuwühlen sich abmühen: die Wipfel rauschen, der
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