Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Sandsteinmauern kletterten. Dann hielten sie auf das Karree mit den Myrrhenbäumen zu. Je fünf in der Reihe. Dreißig an der Zahl: „Die Zahl des Alters Christi“. Ein betäubender Geruch drang in ihre Nasen.
Endlich tauchte im Mondlicht die Eselsfeige auf - „Der Baum des Lebens“ -, eine einzelstehende Sykomore, die angeblich mehr als sechshundert Jahre zählte. Wie ein schwerer Vorhang hingen ihre dicht belaubten Äste fast bis zum Boden. Ein ideales Versteck, in das sie sich auch sofort verkrochen, um Atem zu schöpfen. Doch selbst hier, im wispernden Schatten der Feige, war die Luft noch immer vom bittren Myrrhenduft gesättigt.
Damian hüstelte und räusperte sich andauernd. „Hast du vor, die ganze Nacht hier zu bleiben?“
„Ich überleg noch. Wenn Montfort das Kloster umstellt hat, wovon ich ausgehe, werden sie auch die Gärten nach uns absuchen. Aber sorg dich nicht, ich hab da so eine Idee. Kennst du den Weg hinunter zum ´See Genezareth`?“
„Nicht bei Nacht.“
„Aber ich. Vertrau mir!“
Sie folgten dem „Strom des lebendigen Wassers“, einem ungefähr zwei Fuß tiefen Rinnsal, wobei der daneben aufgeschüttete Kies unter ihren Füßen gefährlich laut knirschte. Als endlich der Fischweiher vor ihnen lag, spiegelte sich im Wasser dick und fett der Mond.
„Und wo sollen wir uns hier verstecken? Etwa im Schilf?“
„Nein. Überleg mal. Wer oder was speist den See und das Rinnsal?“
„Du meinst ...?“
„Genau!“
Beim Weiterlaufen trat sich Damian einen Dorn in den Fuß. Erschöpft humpelte er hinter dem Freund her, bis endlich das steinerne Ungeheuer vor ihnen aufragte. Das Nass schoss nur so aus der runden Öffnung des Aquädukts.
„Die Wasserrinne oben auf dem Scheitel ist nur vom Himmel aus einsehbar“, schrie Olivier gegen das Getöse an, während er Damians Fuß vom Stachel befreite. „Dort sind wir sicher.“
Damian blies die Backen auf. „Aber das Kapitell ist unerreichbar!“
„Siehst du den backsteingroßen Spalt in der Mauer?“, sagte Olivier.
Damian kniff die Augen zusammen. „Oberhalb der Stelle, wo das Wasser hereinströmt?“
„Genau. Ich war schon mal dort oben, im vergangenen Herbst, als ich den Durchlass von Blättern und anderem Unrat befreien musste. Durch diesen Spalt zwängen wir uns hindurch. “
Damian warf seinem Freund einen entsetzten Blick zu. „Bist du verrückt? Das Loch ist viel zu eng!“
„Das täuscht! Unter Wasser ist genügend Platz! Du hältst dich rechts und links fest, holst tief Luft wie beim Tauchen, schließt die Augen und steckst den Kopf in die Röhre. Dann schiebst du dich seitlich mit den Händen vorwärts - wie ein Maulwurf. Ich mach`s dir vor. Bleibst du stecken, ziehe ich dich von drüben raus. Keine Angst, Kleiner, es sieht schwieriger aus als es ist.“ Olivier streckte ihm die Hand hin. „Rache für Termes!“
„Rache für Carcassonne“, flüsterte Damian mit klopfendem Herzen.
Es war ihm mehr als mulmig zumute, als er hinter dem Freund und erneut an einem Weinstock, dick wie ein Arm, auf das Aquädukt kletterte.
Boson, der Abt von Saint-Polycarpe, hing mehr am Arm seines Dieners, als dass er auf seinen Füßen stand. Das fahle Mondlicht ließ ihn aussehen wie eine Leiche. Doch obwohl seine Stimme zitterte, war sie höchst lebendig: „Du sollst anbeten, Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen!“, herrschte er Montfort an und befahl ihm, das Kloster zu verlassen und nicht länger die Nachtruhe der Insassen zu stören.
Montforts Brustkorb hob und senkte sich. „Bei allen Heiligen, Ehrwürdiger Vater, und ich befehle Euch, mir den Jungen zu überstellen.“
„Nein“, sagte Boson eigensinnig und machte Anstalten in sein Haus zurückkehren zu wollen. Unter dem Türsturz – Marcellus war Boson nachgesprungen und hielt ihn unziemlich am Ellbogen fest - drehte er sich noch einmal um. Er schüttelte den Novizenmeister ab und musterte furchtlos den Heerführer der Kreuzfahrer. „Darf ich Euch daran erinnern, Graf von Montfort, dass Ihr nicht die Vollmacht besitzt, mir Befehle zu erteilen? Der Novize wurde mir anvertraut und er bleibt in meiner Obhut. Das ist mein letztes Wort. Und nun geht! Es segne Euch der Herr und bewahre Euch.“
Marcellus - im doppelten Sinne des Wortes zwischen den Kontrahenten stehend – geriet ins Schwitzen. „Ehrwürdiger Vater“, rief er ihm hinterher, „Eurem Schützling wird nichts geschehen. Ich werde ihn begleiten und ihn nicht aus den Augen lassen. Der Friede im
Weitere Kostenlose Bücher