Wikinger der Liebe
1
In der staubigen Sommerhitze donnern Hufe auf der festgestampften Straße. Sand fliegt hoch empor, das Meer spiegelt das grelle Sonnenlicht wider, während die Reiter zu der stolzen Festung galoppieren. An diesem Tag haben sie die Gunst der Jagdgöttin genossen. Über den schweißnassen Hinterhänden der Pferde hängen Eber und Hirsche, ihr Blut tropft auf das durstige Erdreich. Freudenschreie hallen durch den Hof, heißen den Herrn der Festung willkommen und bejubeln die Beute.
Lord Hawk, der Herr von Hawkforte, schwingt sich aus dem Sattel und übergibt die Zügel seines Schlachtrosses einem Stallburschen. Kräftig gebaut, mit breiten Schultern, überragt er alle anderen Männer. Stets wachsame himmelblaue Augen beherrschen das markante Gesicht, und sein geschmeidiger Gang verrät den geborenen Krieger. Nach der abwechslungsreichen Jagd fühlt er sich angenehm ermüdet. Und er ist froh - wenn er es auch nicht eingestehen würde -, weil ein weiterer Tag verstrichen ist, ohne dass seine Braut angekommen ist.
Seufzend denkt er an die unbekannte, unerwünschte Braut und fährt mit allen Fingern durch sein dichtes kastanienbraunes Haar, das sich im muskulösen Nacken kräuselt. Ein Mann in seiner Position muss heiraten, um Söhne zu zeugen. Das weiß er, deshalb findet er sich widerstrebend damit ab. Aber er hätte es vorgezogen, seine künftige Gemahlin selbst zu wählen. Stattdessen wird er eine fremde Frau zum Altar führen - das Friedenspfand, das die Sachsen und Norweger im Kampf gegen die habgierigen Dänen vereinen soll.
Aus diesem Grund hat seine Schwester, die schöne Lady Cymbra, den mächtigen norwegischen Jarl Wolf Hakonson geheiratet. Um des Friedens willen darf Hawk nicht zögern, ihrem Beispiel zu folgen. Doch er bezweifelt, dass ihn ein ähnliches Eheglück erwartet, wie es seine Schwester an der Seite des Mannes genießt, den man einst die Geißel der Sachsen genannt hat.
Hoffentlich wird er seine Braut einigermaßen ertragen können. Das kann er erst beurteilen, wenn sie zu erscheinen geruht. Offensichtlich hat sie es nicht eilig. Wie auch immer, diesen Tag hat er noch genossen.
»Mylord...«
Hawk drehte sich zu seinem Verwalter um, der den Hof durchquerte. Trotz der hastigen Schritte schob der Mann eine Schulter nach hinten, als wollte er notfalls möglichst schnell die Flucht ergreifen. Ist es schon so weit gekommen, dass meine eigenen Leute mein Temperament fürchten, überlegte der Herr von Hawkforte. Bin ich so unberechenbar geworden? Er bezwang ein Seufzen und wünschte, dieser Eindruck würde ihn täuschen. Denn eine solche Schwäche würde seinen Stolz ebenso verletzen wie seinen Gerechtigkeitssinn.
»Was gibt’s, Edvard?«, fragte er betont freundlich. Die Freude an der erholsamen Jagd verflog bereits, er kehrte in den Alltag zurück, wo er Entscheidungen treffen, Urteile fällen und Kompromisse schließen musste. In der Festung, ihrer unmittelbaren Umgebung und auf seinen ausgedehnten Ländereien lebten viele tausend Menschen, die sich auf einen weisen Herrscher verlassen wollten. Gegen seine Pflichten hatte er sich niemals gesträubt. Sie bedeuteten ihm sogar sehr viel. Aber manchmal lasteten sie bleischwer auf seinen Schultern. An diesem schönen, sonnigen Tag sehnte er sich nach einem beschaulicheren Zeitvertreib. Wie wundervoll wäre es, an einem Bach zu sitzen, zu angeln und zu hoffen, dass keine Fische anbeißen, die seine Aufmerksamkeit erfordern würden. Am erfreulichsten wäre es, ein solches Zwischenspiel mit jemandem zu teilen, der nichts weiter verlangte als seine Gesellschaft. Aber so romantische Gedanken gingen ihm nur selten durch den Sinn und wurden meist sehr schnell von der Realität verscheucht.
Während der Verwalter erkannte, dass sein Herr wider Erwarten zugänglich war, entspannte er sich. Er war noch jung für seine gehobene Stellung, die er nicht seiner Herkunft, sondern seiner Tüchtigkeit verdankte. Diesen Posten wollte er auf jeden Fall behalten. »Heute sind drei Dienstboten Eurer Braut Lady Krysta eingetroffen, Mylord«, erklärte er und wies auf ein Trio, das vor der Schmiede stand, einem der vielen kleinen Gebäude an den Innenmauern der Festung. In seiner Geste und seinen bebenden Nasenflügeln drückten sich Gefühle aus, die der ernsthafte Edvard selten zeigte. Für einen so unerschütterlichen Mann bildeten Erstaunen, Sorge und Verwirrung eine beachtliche emotionale Vielfalt.
Hawk schaute zu der kleinen Gruppe hinüber. Zuerst musterte
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