Satt Sauber Sicher
außer ein dankbar nachschenkender Wirt, der keine Fragen stellt. Roland zahlt, gibt ungefähr 45 Euro Trinkgeld und verlässt das stinkende Lokal. Geht ins Bordell, denn der Schnaps und die Sonne, die sein Gehirn wärmt, erzeugen eine mannigfaltige Geilheit in ihm. Fickt einen Schwulen, weil er zufällig im falschen Zimmer stand. Taumelt umher, schaut sich verzweifelt um, der Roland, denn was bleibt ihm noch, die Nacht verbrennt ihm. Besteigt wieder eine Bahn, weil er es an keinem Ort der Welt länger als fünf Sekunden aushält. Sagt kein Wort, denkt kein Wort. In ihm verreisen seine Wünsche in andere Universen, seine Träume stehen mit ihren kaputten Rücken an Wänden und werden von Captain Realismus abgeknallt. Das ist der miesestdraufe Superheld, den man sich vorstellen kann. Captain Realismus hat ein neues Maschinengewehr. Captain Realismus ist der zeitgemäßeste Superheld. Immer da, wenn das Unglück nicht mehr unglücklicher werden kann. Roland eskaliert, hyperventiliert, multipliziert sich mit sich und der Umwelt, masturbiert seine Geistigkeit von sich weg und verliert sich in sich. Es ist bereits Nacht und kälter. Roland ist so was wie Temperaturempfinden sehr egal geworden.
Die Geschwindigkeit der Nacht ist rasant. Was in ihm los ist, ist die Summe der Bitterkeit aus menschlicher Existenz und keiner Ahnung irgendeiner Perspektive. Er ist das Produkt aus kaputten Wahrnehmungsfiltern und zerbröselndem Sein. Zwischen Streben und Sterben. Er fühlt sich wie eine Aspirin-Tablette, die schon im Wasserglas sprudelt, sich auflöst und doch kein Unheil beseitigen kann. Er läuft weiter.
Um Roland wird es später und später, in ihm gleichbleibend null Grad. Frosterfahrungen im Hochsommer. Sekunden werden wieder zählbar. Die Nacht knistert im Feuer. Verbrennt ihn, diese kleine böse Nacht, die Nacht mit dem Tag davor, der ihm sein allzu baldiges Sterben versicherte, wie alle Zeit der Welt. Zerbrechlichkeit. Im Angesicht des Todes marodes Denken. Da zerfällt die Wirklichkeit. Die hochdefinierte Welt umgibt ihn immer noch, doch er ist zusätzlich in einen Mantel eingehüllt. Der macht ihn unsichtbar, sicher und stark. Er ist mit dem Wissen. Er weiß alles. Alles ist eins. Aber das ist so was von egal.
Da ist ein verdammtes Naherholungsgebiet. Da geht er rein. Es liegt ihm nah sich zu erholen, aber wie erholt man sich von einer Todesnachricht, die das Ende der eigenen Existenz betrifft. Roland weiß es nicht, bleibt aber entschieden und ruhig. Seine Gedanken verlangsamen sich auf ein nachvollziehbares Tempo. Alles bremst sich ein wenig aus. Das Tempo von Rolands Leben passt sich wieder seiner Atmung und seinem Blutdruck an. Ganz langsam wird er wegen der erlebten Anstrengungen. Langes Ausatmen, langes Einatmen. Es ist nicht so leicht.
Mittlerweile ist Nacht und Sterne machen einen Himmel voller kleiner Diamanten. Da funkelt die Welt wie noch nie und nur für Roland allein. Der ist unter einem Baum zum Liegen gekommen. Und starrtin den Himmel. Da oben. Da ist was. Flüchtige religiöse Gefühle überkommen ihn unbewusst, aber deutlich. Er unterhält sich zwischenzeitlich mit Gott. Dabei raucht er eine und schaut in die Baumkrone.
Roland trifft Gott und beginnt mit der einleitenden Frage, wo dies denn alles, also das Leben, die Existenz, die Krankheit an Körper und Geist, also das ganze Gewusel Menschsein, wo darin der Sinn liegt. Gott schaut Roland ruhig an und beginnt in sonorem Ton eine heilige Ausführung: "Hör mal auf rumzuheulen, du hast gelebt wie ein Nazi im Ausland. Selber schuld. Mind your body, hab ich immer gesagt. Und du hast deine Hülle zerstört, übrig bleibt 'ne Seele, die aber nicht zum Leben reicht. Also, lass dieses bescheuerte Fragen sein, du Sohn deiner Mutter ..." Gottes Zorn überzeugt Roland. Gottes Gewalt ist spürbar in der Baumkrone. Roland erzittert unter all dieser Jämmerlichkeit. Seine Existenz im Zeichen der Selbstaufgabe.
Traumloses Widerhallen. So schwach der Körper. Kleine Kälte wie ein Tuch über seine Beine. Roland aber lächelt. Lächelt, bis ein epileptischer Anfall kommt und ihn zuckend macht. Roland vibriert, beißt sich auf die Zunge, spuckt davon einen Teil auf seinen Bauch. Die blutumspülte Zunge. In Roland Panik. Roland in Panik. Der Tod klopft an ...
Der Tod ist von wunderschöner Gestalt. Gleißend-geiler Wahnsinn presst sich auf Rolands überforderte Netzhaut. Das personifizierte Sterben beginnt zaghaft. Ein wisperndes, zerbrechliches Sprechen:
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