Scarpetta Factor - Thriller
verdrückt und Scarpettas BlackBerry im Zimmer zurückgelassen? Scarpetta stellte sich vor, wie Agee mit rasiertem Schädel und ohne Bart und Hörgeräte, vielleicht sogar ohne Brille, mit Carley Crispin die Treppe hinunterschlich. Es ergab keinen Sinn. Die Sache musste sich anders abgespielt haben.
»Werden in Ihrem Hotel die Zeiten aufgezeichnet, zu denen die Gäste ihre Zimmer betreten und verlassen und dabei die Karten mit den Magnetstreifen verwenden?« Scarpetta hielt das zwar für unwahrscheinlich, aber nachfragen konnte ja nicht schaden.
»Nein. In den meisten Hotelsoftwares, zumindest denen, die ich kenne, ist diese Funktion nicht vorgesehen. Außerdem speichern die Karten keine Informationen über die Gäste.«
»Also keine Namen, Adressen oder Kreditkartennummern.Nichts dergleichen befindet sich auf den Karten«, hakte sie nach.
»Auf gar keinen Fall«, entgegnete er. »Nur im Computer, nicht auf den Karten. Die dienen lediglich dazu, Türen zu öffnen, mehr nicht. Wir führen nicht Buch darüber. Der Großteil der Hotelkarten, wenigstens die, die mir untergekommen sind, enthalten keinerlei Informationen bis auf das Gültigkeitsdatum.« Ein Blick in Richtung Zimmertür. »Offenbar haben Sie niemanden angetroffen.«
»Detective Marino ist noch drin.«
»Nun, da bin ich aber froh«, entgegnete Curtis erleichtert. »Schließlich wollte ich, was Ms. Crispin und ihren Freund angeht, nicht das Schlimmste befürchten.«
Damit meinte er, er sei besorgt gewesen, einer von ihnen oder alle beide könnten tot im Zimmer liegen.
»Sie brauchen nicht hier oben zu warten«, erwiderte Scarpetta. »Wir geben Ihnen Bescheid, wenn wir fertig sind. Es könnte noch etwas dauern.«
Als sie wieder eintrat und die Tür schloss, war es still im Zimmer. Marino hatte den Fernseher ausgeschaltet. Nun stand er, das BlackBerry in der behandschuhten Hand, im Bad und betrachtete das Durcheinander im Waschbecken, auf der Ablage aus Marmor und auf dem Boden.
»Warner Agee«, verkündete sie und zog die Handschuhe an, die Marino ihr vorhin gereicht hatte. »Er hat in diesem Zimmer gewohnt. Carley vermutlich nicht. Wahrscheinlich hat sie keine einzige Nacht hier verbracht. Offenbar ist sie gestern Abend, vielleicht gegen Viertel vor zwölf, hier erschienen, und zwar einzig und allein mit der Absicht, Warner Agee mein BlackBerry zu bringen. Ich muss mir deins ausleihen, meines kann ich nicht benutzen.«
»Wenn er es wirklich ist, schwant mir Übles«, meinte Marino, tippte das Passwort in sein BlackBerry ein und drückte esihr in die Hand. »Mir gefällt die Sache nicht. Er rasiert sich die Haare ab und verschwindet ohne Hörgeräte und Brille?«
»Wann hast du zum letzten Mal beim Katastrophenschutz oder beim Sondereinsatzkommando nachgefragt? Hat sich etwas getan, was wir wissen sollten?«
Ein seltsamer Ausdruck malte sich auf Marinos Gesicht.
»Ich kann mich ja mal erkundigen«, fügte sie hinzu. »Allerdings bringt es nichts, wenn der Betreffende ins Krankenhaus eingeliefert, festgenommen oder in eine Notunterkunft gebracht wurde oder auf der Straße umherirrt. Ich erfahre nur etwas, wenn die Person tot und in New York City ums Leben gekommen ist.« Sie tippte eine Nummer in Marinos BlackBerry ein.
»Die George Washington Bridge!«, rief Marino. »Das darf doch nicht wahr sein.«
»Was ist mit der Brücke?« In der Ermittlungsabteilung der Gerichtsmedizin läutete das Telefon.
»Ein Typ ist runtergesprungen. So gegen zwei. Ich habe die Live-Übertragung im Real Time Crime Center gesehen. Etwa sechzig, offenbar kahl, kein Bart. Ein Polizeihubschrauber hat den ganzen Wahnsinn gefilmt.«
Ein forensischer Ermittler namens Dennis meldete sich am Telefon.
»Ich würde gern wissen, ob etwas Neues reingekommen ist«, sagte Scarpetta. »Haben wir einen Fall von der George Washington Bridge?«
»Ja«, antwortete Dennis. »Ein Sprung in Gegenwart von Zeugen. Die Spezialeinheit hat versucht, mit ihm zu verhandeln, aber er wollte nicht hören. Sie haben alles auf Video. Der Polizeihubschrauber hat es aufgezeichnet. Ich habe schon eine Kopie angefordert.«
»Sehr geistesgegenwärtig von Ihnen. Irgendwelche Hinweise darauf, wer er ist?«
»Der Polizist, mit dem ich gesprochen habe, meinte, sie hätten keinerlei Anhaltspunkte. Weiß, männlich, zwischen fünfzig und sechzig. Er hatte nichts bei sich, woraus sich auf seine Identität schließen ließe. Weder eine Brieftasche noch ein Telefon. Optisch lässt sich auch nicht viel
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