Schach mit einem Vampir
ich ahne schon, woraufhin alle Indizien hinweisen werden , resümierte Harris. Tonelli bückte sich und nahm aus dem Aluminiumkoffer der Spurensicherung einen kleinen Plastikbeutel. Neugierig verfolgte Harris die Bewegungen seines Kollegen. Kurz darauf hielt Tonelli ihm das Beutelchen dann dicht vor die Augen.
„Wenn wir es nicht mit einem Nachahmer zu tun haben, dann ist unser Serientäter wieder dabei, sein schauriges Handwerk auszuführen.“ In dem Tütchen befand sich eine schwarze, angesenkte Schachfigur. Eine schwarze Spielfigur, die einen Bauern darstellte. Harris entfuhr ein Fluch und ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihm breit. Er hatte in dieser Nacht mit allem gerechnet, nur nicht damit.
„Die Figur war im Mund-Rachenraum des Opfers platziert worden. Dr. Goldstein hat sie, bei seiner ersten Begutachtungdes Leichnams, gefunden. Ich vermute, ein alter Bekannter ist nun in Manhattan angekommen. Der Schachspieler !“, fuhr Tonelli fort.
„Wieder dieser verdammte Schachspieler “, mischte sich nun der Rechtsmediziner ein.
„Vermutlich ja, Dr. Goldstein“, antwortete Tonelli dem Doktor, ehe er sich wieder Harris zuwandte. „Meiner Meinung nach passt das Muster, eine Schachfigur im Mund des Opfers zu hinterlassen, eindeutig zu dem Serienkiller.“ Harris schüttelte schockiert den Kopf.
„Dieser verfluchte Bastard. Nun ist er in New York angekommen und setzt seine Mordserie bei uns fort. Und ein Irrtum ist nicht ausgeschlossen? Gibt es vielleicht Kleinigkeiten, die von der früheren Vorgehensweise des Täters abweichen? Etwas, das darauf hinweist, dass ein Nachahmer am Werk war und sich das Markenzeichen des Irren, nämlich die Schachfigur, zunutze machte?“
„Alles weist darauf hin, dass wir es mit dem Original zu tun haben. Natürlich gehen die Untersuchungen noch weiter, aber …“ Harris wandte sich zu Goldstein.
„Doc, haben Sie sich nicht mit den früheren Morden des Schachspielers beschäftigt? Wir unterhielten uns doch vor einiger Zeit darüber, als ich Sie in Ihrem Institut aufsuchte. Sie hatten sich doch mit anderen Rechtsmedizinern in Verbindung gesetzt, die die Opfer damals obduzierten?“
„Ja, schon“, entgegnete der Doktor. „Ich befasste mich aus beruflichem Interesse mit den Fällen. Als ich den Leichnam sah, ahnte ich, um welchen Täter es sich handeln könnte. Doch ich wagte nicht, diese Vermutung auszusprechen, um Ihre Ermittlungsarbeit nicht durch meine anzuzweifelnde Einschätzung in eine falsche Richtung zu führen. Erst durch die Worte von Agent Tonelli fand ich die Bestätigung meiner Annahme. Und darum sage ich Ihnen nun, dass die Wahrscheinlichkeit für mich sehr hoch ist, dass es sich bei diesem Verbrechen um die Handschrift des Schachspielers handelt!“ Schachspieler . Diesen markanten Spitznamen hatte dem Killer die Regenbogenpresse verpasst. Der Serienmörder zog schon seit einigen Jahren seine blutige Spurdurch die USA und hinterließ dabei immer bei seinen Opfern sein Markenzeichen , eine Schachfigur. Joseph Harris wusste nun, warum man gerade ihn aus dem Schlaf gerissen hatte und nicht etwa einen anderen FBI-Agenten mit dem Fall betraute. Denn er war der Experte, wenn es sich um die Verbrechen des sogenannten Schachspielers handelte. Er beschäftigte sich seit einer ganzen Weile mit dem Fall des Serienmörders. Ab dieser Stunde, mit der er den Mordfall als leitender Agent übernahm, war er also kein gewöhnlicher FBI-Agent mehr, sondern ein G-Man. Ein Sonderermittler der bundespolizeilichen Ermittlungsbehörde, deren Hauptsitz sich im J. Edgar Hoover Building in Washington, D.C. befand. Ein G-Man wurde speziell geschult und war sozusagen ein Fachmann in einem bestimmten Verbrechensfall, wie jetzt Harris, der sich schon lange mit den Verbrechen des Schachspielers befasste. Nun trug der grausame Mörder seine Verbrechen in sein Zuständigkeitsgebiet. Harris dachte über den unglaublichen Fall des Serienmörders nach. Meyers war nicht das erste Opfer des Schachspielers . Wenngleich das Erste in New York. Der Schachspieler trieb sein Unwesen schon seit Jahren.
Ach was , dachte Harris, schon seit Jahrzehnten . Und es gab sogar Fälle, die in die Pionierzeit Amerikas und darüber hinaus fielen. Doch konnte man aus diesem Grund überhaupt nur von einem Einzeltäter sprechen? Waren es nicht vielmehr die Taten eines Geheimbundes oder einer skurrilen Sekte? In dieser langen Zeitspanne, von damals bis heute, fielen dem Schlächter erschreckend viele Menschen
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