Schach mit einem Vampir
gegenüber dem Fort Tryon Park. Harris erinnerte sich daran, wie heruntergekommen diese Ecke Manhattans noch vor einigen Jahren war. Das hatte sich jedoch schlagartig geändert, als einige reiche Schauspieler diese eher ruhige Ecke New Yorks für sich als Wohngegend entdeckt hatten. Schnell gesellten sich andere wohlhabende Leute hinzu und so entstand ein Stadtteil mit Neubauten und schön alten, renovierten Backsteingebäuden, aus denen die gehobenen Gesellschaftsschichten eine wunderbare Aussicht auf den Park und den dahinter liegenden Hudson River hatten. Von ihrem Standort, aus den höher liegenden Stockwerken, konnten sie zu dieser Nachtzeit die helle Beleuchtung der gewaltigen George-Washington-Hängebrücke sehen, die eine Verbindung zwischen Manhattan und Fort Lee sowie New Jersey bildete. Harris bog in die gepflegte 190te ein. Hier konnte man den Wohlstand geradezu riechen. Zu beiden Seiten der Straße hatten sich Geschäfte angesiedelt, die versuchten, die gehobenen Ansprüche ihrer reichen Kundschaft zu befriedigen. Der FBI-Agent konnte sein Ziel schon von Weitem ausmachen. Vor einem fünfstöckigen Backsteingebäude aus den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts erkannte er sofort die Einsatzfahrzeuge der New Yorker Polizei und der Feuerwehr. Zwischen ihnen sah Harris den schwarzen Kastenwagen des gerichtsmedizinischen Instituts der Stadt New York stehen. Josef Harris schaute auf seine Armbanduhr. Er hatte die Strecke von seiner Wohnung in der Upper East Side bis hierher in einem rekordverdächtigen Tempo zurückgelegt. Aber das war nur der Tatsache zu verdanken, dass die meisten New Yorker in ihren Betten schlummerten. Der dunkelhäutige FBI-Agent mochte gar nicht daran denken, wie sein Einsatz wohl verlaufen wäre, hätte man ihn am Tage zum Tatort gerufen. Womöglich noch in der Rushhour, wenn jeder, der in Manhattan lebte und arbeitete, unterwegs war.
Ein wahrer Albtraum. Und er hoffte inständig, dass sich dieser neue Mordfall nicht auch als Albtraum herausstellen würde. Aber dieser Wunsch sollte ihm nicht erfüllt werden. Denn das FBI rief man nur, wenn der Polizei das Wasser schon bis zum Halse stand. In Fällen, die die Maßstäbe der normalen Ermittlungsarbeit der Polizei überstiegen. Und dass man ihn zu so später Stunde aus dem Bett klingelte, hatte auf keinen Fall etwas Gutes zu bedeuten. Am Telefon teilte man ihm nur kurz mit, dass es sich bei dem Opfer um einen reichen Börsenmakler handelte. Weitere Details, so sagte man ihm, würde er vor Ort am Tatort erfahren. Instinktiv ahnte der routinierte Agent jedoch, dass man ihm extra vorerst wichtige Informationen über das Ableben des bedauernswerten Opfers verschwiegen hatte. Es ging also um mehr als ein gewöhnliches Verbrechen. Seine besonderen Fähigkeiten, die er bei vorherigen Mordfällen schon oft an den Tag gelegt hatte, wurden benötigt.
FBI Special Agent Josef Harris parkte seinen Wagen genau neben einem Streifenwagen der New Yorker Polizei. Die grellen blauroten Lichtblitze, die das Einsatzfahrzeug durch sein Warnlicht ausstrahlte, blendeten ihn schmerzhaft. Auch von den Glasscheiben des nun vor ihm liegenden Apartmenthauses reflektierten die Lichtblitze zigfach wieder. Harris stieg aus dem Wagen aus. Sofort umströmte ihn die warme, drückende Sommerluft. Er spürte, wie der Schweiß noch intensiver zu strömen begann. Sein leichtes Anzughemd klebte bereits an seinem Körper. Am liebsten hätte er seine Krawatte abgelegt und das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Doch er war ein Agent des Federal Bureau of Investigation. Und deshalb schickte sich so etwas nicht. Außerdem betrat er gleich den Tatort eines Gewaltverbrechens. Schon aus Respekt und Pietät gegenüber dem Opfer musste er seine Kleiderordnung wahren. Harris blickte sich in seiner Umgebung um. Keine drei Meter von seiner Position aus entfernt stand der etwas in die Jahre gekommene Wagen der Gerichtsmedizin. In der Fahrerkabine hielten sich zwei Bedienstete bereit, um das Opfer abzutransportieren und in das Institut zu überführen.
Hinter dem schwarzen Kastenwagen parkte ein großer roter Feuerwehrwagen mit verchromten Stoßstangen und einer eingezogenen Drehleiter auf seiner Ladefläche. Drei Feuerwehrleute verstauten ihre Ausrüstung in dem LKW, während zwei weitere einen Sechsten betreuten. Dieser Mann, ein Jüngling Anfang zwanzig, saß auf einem der Trittbretter des Einsatzfahrzeugs vor einer Lache aus Erbrochenem und hielt sein Gesicht durch seine Hände
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