Schatten eines Gottes (German Edition)
köstlich.«
Emanuel musste plötzlich an den Prior in Altenberg denken, der ihm Latwerge angeboten hatte. Das hatte so süß geschmeckt und einen gallebitteren Nachgeschmack gehabt. »Und Ihr habt Euch entschlossen, hier in dieser Abgeschiedenheit Euer restliches Leben zu verbringen?«
»Ja. Ich lebte lange in Jerusalem und habe dort mit einigen Muslimen Freundschaft geschlossen, es waren großartige Menschen, gelehrt gastfreundlich und aufgeschlossen. Aber ich habe auch furchtbare Dinge erlebt, von denen man im christlichen Europa nichts hören wollte. Deshalb bin ich – aber was erzähle ich Euch das? Ihr habt doch ein Anliegen an mich, nicht wahr?«
Statt einer Antwort gab Octavien ihm den Brief. »Bitte lest das. Ist es möglich, dass mein Urgroßvater etwas hiergelassen hat, das Ihr im Angedenken an Eure Ordensbrüder entdeckt und aufbewahrt habt?«
Monthelon las, und seine Brauen hoben sich erstaunt. Als er die Schriftrolle Octavien zurückgab, lächelte er entspannt. »Archibald de Saint-Amand, natürlich. In unserem Archiv existiert ein Schriftstück, das er dem Kloster vorübergehend in Obhut gegeben hatte. Er hat es nie abgeholt. Wer weiß, was ihn davon abgehalten hat. Wartet einen Augenblick, ich werde es gleich holen.«
Ein Pergament! Bei Gott, endlich wussten sie, was da ausgegraben worden war. Keine Reliquie, eine Schrift. Octavien war enttäuscht. Eine alte Schrift würde kaum eine neue Kreuzzugsbegeisterung entfachen. Emanuel hingegen war freudig überrascht, und auch der Bischof würde sich darüber freuen, wenn er sich vielleicht auch etwas Eindrucksvolleres vorgestellt hatte.
Monthelon kehrte recht schnell zurück. Er entrollte ein kleines, angestaubtes Pergament, und obwohl Emanuel unruhig vor Neugier auf dem Stuhl herumrutschte, händigte er es Octavien aus. »Das ist das Original.«
Octavien starrte auf die merkwürdigen Kringel. »Das kann ich nicht lesen.«
»Natürlich nicht. Es ist arabische Schrift. Keine Sorge, ich habe es übersetzt.«
Nun legte Monthelon ein weiteres Pergament daneben. »Ihr dürft es gern mitnehmen, die Übersetzung und das Original. Es gehört schließlich in Eure Familie, nicht wahr?«
Emanuel war in höchster Neugier an Octavien herangerückt. Beinahe war er enttäuscht, dass es so leicht gewesen war und ihr Abenteuer schon beendet. Beide Männer überflogen klopfenden Herzens die Übersetzung, dann sahen sie sich lange und schweigend an. Schließlich wandte sich Emanuel an Monthelon: »Seid Ihr sicher, dies ist die richtige Übersetzung?«
»Absolut sicher. Ich lese und spreche fließend Arabisch.«
Was Emanuel und Octavien in den Händen hielten, war eine Sammlung von Kochrezepten der arabischen Küche.
»Nun – eh – wir sind Euch sehr zu Dank verpflichtet«, stotterte Octavien. »Meine Urgroßmutter hätte diese Gaumenfreuden damals sicher gern ihren Gästen vorgesetzt. Ein Jammer, dass das Dokument sie nicht erreicht hat.«
Beide Männer sahen ihre hochfliegenden Pläne, die sie mit dem Relikt verbunden hatten, in tausend Stücke zerspringen. Die grenzenlose Enttäuschung stand ihnen in die Gesichter geschrieben.
»Ihr habt etwas anderes erwartet?«, fragte de Monthelon mitfühlend.
Octavien räusperte sich, um den Kloß im Hals loszuwerden. »Um aufrichtig zu sein, ich hoffte hier eine Reliquie aus der Zeit Jesu zu finden, die den Menschen wieder Mut gemacht hätte. Mit ihrer spirituellen Macht hätte sie vielleicht den erlahmten Kreuzzugswillen neu beflügelt.«
Monthelon nickte nachdenklich. »Euch hat eine große Idee hierher geführt. Leider befindet sich keine derartige Kostbarkeit in diesem Kloster, sonst wäre es weitaus berühmter.«
Monthelon lächelte. Dann sah er Emanuel an, der, um seine Enttäuschung nicht zu zeigen, mit steinerner Miene auf den heidnischen Globus starrte. Monthelon öffnete den Mund, als wollte er ihm etwas mitteilen, aber er zögerte, als ringe er mit sich selbst.
Als die beiden Anstalten machten, sich zu verabschieden, stieß Monthelon mit gedämpfter Stimme hervor: »Ich besitze zwar keine Reliquie, aber es ist möglich, dass anderswo etwas existiert.«
Weder Emanuel noch Octavien konnten bei dieser Wendung ihre Mimik beherrschen. Neue Hoffnung belebte ihre Gesichter. Emanuel beugte sich hastig vor und fragte mit rauer Stimme: »Ihr wisst Näheres?«
Octavien warf dem Mönch einen argwöhnischen Blick zu, dieser Eifer missfiel ihm. Er konnte nicht allein der Beflissenheit entspringen, dem Erzbischof
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