SchattenHaut
Gardinen, das Licht, das hineinfiel, die Möbel, der Duft. Es gehörte jetzt einer einsamen Witwe, die nicht gelernt hatte, dass es nicht ausreichte, nur der kleine Teil eines Ganzen zu sein.
Der Mantel
Wer in den Tagen der frühen 80er-Jahre im Weserbergland oder dem Schaumburger Land etwas auf sich hielt, fuhr in die größeren Städte zum Einkaufen.
Susis Eltern hatten sich einen Wintermantel mit Hirschhornknöpfen für Susi vorgestellt – einen echten englischen Dufflecoat. Den fand Susis Mutter einfach ganz entzückend für ihre Tochter. In rot oder dunkelblau. Ein Marathon durch Hertie, Mäntelhaus Kaiser, C&A und etliche weitere Geschäfte in Hannover begann. Susi hasste Hirschhornknöpfe. Die Geweihe gefielen ihr auf den lebenden Tieren viel besser und sie hasste diese Art von Wollmantel überhaupt. Kratzig und steif wie die Dinger waren, konnte sie sich schon bei der Anprobe nicht in ihnen bewegen. Und bewegen wollte sich Susi immer. Vor allem draußen, auch im Winter. Es war schon schlimm genug, dass Mutter ihr immer diese Fellmützen aufsetzte, die unten mit Bommeln zugeknotet wurden. Wie ein Schneeball sah ihr Kopf dann aus. Aber da konnte sie sich immerhin vorstellen, sie sei ein Eskimo auf einem Hundeschlitten.
Als Susi nach dem neunten Dufflecoat immer noch etwas auszusetzen hatte, wurde Mutter langsam ärgerlich. Sie waren zu groß, zu weit, zu klein, zu rau, zu irgendwas. Da entdeckte Susi IHN auf einem Bügel. Dunkelbeige aus Steppstoff mit gesticktem Muster, innen dunkelbraunes Fell, das um Ärmelenden und Kapuze herumgezogen war. In der Mitte einen Reißverschluss. Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, hatte Susi den Mantel angezogen und sagte: „Bitte, ich möchte diesen Mantel.“
„Ach“, rief Mutter, „der ist doch schon fast zu klein.“
„Wir haben ihn auch noch eine Nummer größer!“, antwortete die Verkäuferin.
„Eigentlich möchten wir aber einen Dufflecoat.“
„Nein, Mama, bitte nicht. Den oder keinen. Ich möchte auch nichts zu Weihnachten.“
„Ach Susi, lass uns erst einmal noch weitergucken.“
Nach Dufflecoat Nummer siebzehn fing Susi an zu weinen. Es konnte keinen anderen Mantel für sie geben als den, in den sie sich verliebt hatte. Ein echter Eskimomantel. Warm, weich, zum Rumspringen und Elche jagen. Oder Rentiere. Zum Eisfischen und Hundeschlittenrennen war er wie gemacht.
Und dieses eine Mal gaben Vater und Mutter nach. Schweren Herzens kauften sie ihrer Tochter einen Mantel, der sich von dem ihrer Vorstellungen so sehr unterschied wie der Sommer vom Winter.
Susi war an jenem Tag der glücklichste Mensch auf der Welt.
Das Witwenhaus
Hetzer und Kruse begleiteten Marga Kuhlmann ins Wohnzimmer. Wortlos deutete sie ihnen an, Platz zu nehmen.
„Wo ist er? Wo haben Sie ihn gefunden? Wie ist er gestorben?“, fragte sie mit leiser Stimme.
„Das können wir Ihnen noch nicht genau sagen, Frau Kuhlmann. Es ist auf jeden Fall durch Fremdeinwirkung geschehen. Einen Selbstmord oder einen Unfall können wir ausschließen. Wir möchten Sie bitten, eine Liste seiner Freunde und Bekannten zu erstellen. Vielleicht ergibt sich darüber die Möglichkeit, noch etwas über den Fremden aus dem ,Stadtkater’ zu erfahren. Er war der letzte Kontakt Ihres Mannes, soweit wir wissen. Der Kellner hat die beiden im Lokal gesehen. Danach verliert sich jede Spur. Wir wissen auch nichts über den zwischenzeitlichen Aufenthaltsort Ihres Mannes. Ich meine, wo er in den Tagen zwischen seinem Verschwinden bis zu seinem Tod gewesen ist. Wir können momentan noch nicht einmal sagen, wie viele das gewesen sind, in denen er versteckt oder gefangen gehalten wurde. Er ist heute Nachmittag in der Eulenburg gefunden worden.“
„In der Eulenburg? Wieso wissen Sie nicht, wie lange er vermisst wurde? Das verstehe ich nicht. Ich habe Ihnen doch genau gesagt, wann er nicht nach Hause kam.“
„Das haben wir auch protokolliert, Frau Kuhlmann. Ihr Mann ist aber nicht heute und auch nicht in der letzten Nacht gestorben.“
Marga Kuhlmann holte tief Luft und schien auf dem großen Sofa noch zu schrumpfen.
„Wollen Sie mir sagen, dass Benno schon längere Zeit in der Eulenburg lag? Und niemand hat ihn gesehen?“
„So ungefähr.“
„Was heißt so ungefähr, meine Herren? Würden Sie mir jetzt bitte genau sagen, was passiert ist? Ich muss es doch wissen und ich werde es sowieso erfahren.“
„Bitte entschuldigen Sie, Frau Kuhlmann. Wir möchten Ihnen nur einfach ein paar unangenehme
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