SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
peitschenden Wellen war Leander der Fels in der Brandung. Sein Wesen war von jener beruhigenden Art, dass man das Gefühl hatte, sich einfach fallen lassen zu können. Wenn er vor den Musikern oder dem Publikum stand mit seinem Taktstock, war er in seinem Element. Nichts anderes nahm er dann noch wahr. Er floss ein in die Musik, wurde ein Teil von ihr und schwamm mit den Tönen davon, ohne fort zu sein. Dass er in ihr so aufging, hatte zum einen den Grund, dass er seinen Beruf liebte, aber auch einen anderen, der mit der Materie nichts zu tun hatte. Die Musik gab ihm die Möglichkeit, zu fliehen, ja vielleicht konnte man sogar sagen, dass er sich in eine Parallelwelt flüchtete, in der er sich sicher und genauso angenommen fühlte, wie er war. Solches konnte man von seinem Privatleben nicht behaupten.
Dass nicht alles vollkommen schlecht lief und dass es noch einen Rahmen der äußeren Normalität gab, verwehrte ihm den Blick auf das Wesentliche. Es war keine Liebe dort, wo er seinen Lebensmittelpunkt haben sollte. Also blieb er in einem Miteinander, das keines war. Und so war er zeitgleich der Fels in der Brandung, wenn es um die hohe Kunst der Musik ging, aber auch das ruhelose Schiff ohne Anker, ein Spielball der Wellen, hin- und hergeworfen von Emotionen in seinem privaten Leben. Diese Diskrepanz ließ sich schlecht leben. Sie hatte bereits begonnen, ihn aufzufressen.
Er
Es war ihm jetzt schon viel besser gelungen, die Eierstöcke und die Gebärmutter in einem Stück herauszulösen. Zurück blieb ein klaffender Spalt aus Fleisch- und Fetträndern. Die Gedärme musste er entfernen. Sie hätte sonst auch zu schnell unangenehm gerochen.
Zufrieden wischte er sich die Finger an seiner Schürze ab und betrachtete die Frau, die still mit endlos weiten Augen in dem Trog lag, in dem früher Schweine auf ihre Weiterverarbeitung gewartet hatten. Er hatte sie von ihrer Fruchtbarkeit entbunden und sie zum reinen Objekt der Begierde gemacht.
Rieke
Rieke war eine ungewöhnliche Frau. Sie lebte in einem nie enden wollenden Harmoniebedürfnis. Das machte ihr Leben nicht immer einfach. Sie dachte viel über sich selbst nach. Manchmal sogar zu viel. Dann lag sie lange nachts wach und grübelte.
Alles, was sie immer gewollt hatte, war Liebe. Eine unumstößliche, ehrliche Liebe mit einem Partner, der sie nicht verraten würde. Doch der Verrat lag über ihrem jetzigen Leben wie ein Schleier aus Blei.
Es hatte gut angefangen damals. Alles fing immer gut und vielversprechend an. Da war die Hoffnung, der Glaube an das Gute.
Vielleicht konnte man sogar sagen, dass sie sich diesmal zu sehr in Sicherheit gewiegt hatte oder einfach nur den säuselnden Honigworten eine Zeit lang zu sehr vertraut hatte.
Nie im Leben wäre sie auf die Idee gekommen, noch so viel mehr verraten zu werden als je zuvor. Die Dimension des seelischen Schmerzes war unglaublich. Sie ging über jede Vorstellungskraft hinaus und hatte sie für immer verändert. Wie eine offene Wunde trug sie diese Verletzung unsichtbar in sich. Anfangs hatte sie noch gehofft, dass diese heilen könne. Die Vergangenheit hatte sie jedoch gelehrt, dass es Dinge gab, die niemals wieder gut werden würden. Offene Stellen, über die nur dünnes Gewebe wuchs, sodass sie anfällig waren für den Wind oder andere Naturgewalten des Lebens.
In den sechs Jahren ihres Bestehens war die Narbe ständig wieder aufgebrochen. Sie hatte geeitert, zu schwären begonnen, doch man konnte sie weder ausbrennen noch herausschneiden, weil sie in der Seele lag – unangreifbar für Instrumente oder Feuer.
Über das Feuer hatte sie allerdings tatsächlich nachgedacht oder auch ein scharfes Messer. Sie begann die Menschen mit einer Borderline-Störung zu verstehen, die sich selbst an ihren Körpern Schaden zufügten, um die inneren, seelischen Schmerzen zu betäuben.
Das größte Problem an der Geschichte war, dass die Verletzung ihr nicht unmittelbar selbst angetan worden war.
Noch einmal las sie die Geschichte, die sie damals verfasst hatte in jenen ersten Tagen nach dem Supergau, der ihr Leben verändert hatte.
Das Monster – Riekes Geschichte
Das Monster war wieder da. Es hatte sich für die Dauer des Glücks in einen Kokon eingesponnen. Jetzt schlüpfte es unter der Schädeldecke und sandte sein lähmendes Gift voraus. Sie hatte gehofft, dass es tot war. Aber es existierte noch. Versteckt hatte es überlebt. Nun begann es zu wachsen und sich auszubreiten.
Der Schmerz überschwemmte sie wie
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