Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:
eingerichtet war.
    In seiner nächsten planmäßigen Pause ging Ferrell, von morbider Neugier getrieben, selbst hinunter. Er steckte seine Nase durch die Tür. Boni saß an ihrem Pult. Der Tisch in der Mitte des Raums war noch nicht belegt.
    »Ah – hallo.«
    Sie blickte mit ihrem wachen Lächeln auf. »Hallo, Pilot. Kommen Sie ruhig herein.«
    »Ah, danke. Wissen Sie, Sie brauchen wirklich nicht so förmlich zu sein. Nennen Sie mich Falco, wenn Sie wollen«, sagte er, als er eintrat.
    »Sicher, wenn Sie es wünschen. Ich heiße Tersa.«
    »Ach ja? Ich habe eine Cousine, die Tersa heißt.«
    »Es ist ein häufiger Name. In meiner Klasse in der Schule gab es immer mindestens drei.« Sie stand auf und blickte prüfend auf ein Messgerät neben der Tür zum Laderaum. »Er dürfte jetzt gerade so weit sein, dass man sich mit ihm befassen kann. An Land gezogen, sozusagen.«
    Ferrell schniefte und räusperte sich, während er sich fragte, ob er bleiben oder verschwinden sollte. »Eine groteske Art von Fischerei.«
    Verschwinden, denke ich.
    Sie nahm die Steuerleine für die Schwebepalette auf und zog sie hinter sich her in den Laderaum. Es gab ein paar bumsende Geräusche, dann kehrte sie zurück, die Palette schwebte hinter ihr her. Die Leiche war in das dunkle Blau eines Decksoffiziers gekleidet und dick mit Reif bedeckt, der abblätterte und auf den Boden tropfte, während die Medizintechnikerin den Leichnam auf den Untersuchungstisch schob.
    Ferrell erschauderte vor Abscheu.
    Unbedingt verschwinden.
    Aber er blieb weiter da und lehnte sich in sicherer Entfernung an den Türrahmen. Sie zog aus dem vollgestopften Instrumentenhalter über dem Tisch ein Instrument, das durch eine Leitung mit den Computern verbunden war. Es hatte die Größe eines Schreibstifts und schickte einen dünnen blauen Lichtstrahl aus, als es auf die Augen der Leiche gerichtet wurde.
    »Netzhautidentifikation«, erklärte Tersa. Sie zog ein polsterähnliches Objekt herab, das auf ähnliche Weise an die Computer angeschlossen war, und drückte es auf jede Hand des Monstrums. »Und Fingerabdrücke«, fuhr sie fort. »Ich mache immer beides und führe dann ein Crossmatch durch.
    Die Augen sind manchmal schrecklich verdreht. Fehler bei der Identifikation können für die Familien brutal sein. Hm, hm.« Sie blickte prüfend auf die Ergebnisse auf ihrem Schirm. »Leutnant Marco Deleo. Neunundzwanzig Jahre alt. Also gut, Leutnant«, fuhr sie im Plauderton fort, »wollen wir mal sehen, was ich für Sie tun kann.«
    Sie lockerte seine Gelenke mit Hilfe eines speziellen Geräts, dann begann sie, ihn seiner Kleider zu entledigen.
    »Sprechen Sie oft mit – ihnen?«, wollte Ferrell entnervt wissen.
    »Immer. Aus Höflichkeit, wissen Sie. Einige der Dinge, die ich mit ihnen anstellen muss, sind ziemlich entwürdigend, aber sie können doch auf höfliche Weise getan werden.«
    Ferrell schüttelte den Kopf. »Also ich denke, es ist widerlich.«
    »Widerlich?«
    »Dieser ganze Unfug, der da mit Leichen getrieben wird. All der Aufwand, den wir treiben, und die Kosten, um sie einzusammeln. Ich meine, was kümmert es sie? Fünfzig oder hundert Kilo faulendes Fleisch. Es wäre sauberer, sie im All zu lassen.«
    Sie zuckte die Achseln, war nicht beleidigt und ließ sich nicht von ihrer Aufgabe ablenken. Sie faltete die Kleider zusammen und inventarisierte die Taschen, indem sie deren Inhalt der Reihe nach auf den Tisch legte.
    »Mir gefällt es eigentlich, die Taschen zu durchsuchen«, bemerkte sie. »Es erinnert mich daran, als ich ein kleines Mädchen war und jemand anderen bei sich zu Hause besuchte. Wenn ich selbst nach oben ging, um die Toilette zu benutzen oder so, dann war es immer ein Vergnügen, in die anderen Zimmer zu gucken und zu sehen, was für Sachen die hatten und wie sie sie aufbewahrten. Wenn sie sehr ordentlich waren, dann war ich immer sehr beeindruckt – ich habe meine Sachen nie ordentlich aufräumen können. Wenn alles durcheinander war, dann empfand ich, ich hätte heimlich einen Gleichgesinnten gefunden. Die Habseligkeiten einer Person können eine Art äußerer Morphologie ihrer Denkweise darstellen – wie das Haus einer Schnecke oder so was. Ich stelle mir gern vor, was für Personen sie waren, nach den Dingen in ihren Taschen zu schließen. Ordentlich, oder unordentlich. Ganz den Vorschriften entsprechend oder voll mit persönlichen Gegenständen … Nehmen Sie zum Beispiel Leutnant Deleo hier. Er muss sehr gewissenhaft gewesen sein.

Weitere Kostenlose Bücher