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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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widerwillig zu. Ihre Argumentation bewahrheitete sich: bevor der Tag halb um war, stießen sie auf ein weiteres grausiges Relikt.
    »Oh«, murmelte Ferrell, als sie es näher anschauen konnten. Es war ein weiblicher Offizier gewesen. Boni holte sie mit außerordentlicher Zartheit herein. Er wollte diesmal wirklich nicht gehen, um zuzuschauen, aber die Medizintechnikerin schien seine Anwesenheit zu erwarten.
    »Ich – möchte wirklich keine aufgeblähte Frau anschauen«, versuchte er sich zu entschuldigen.
    »Mm«, sagte Tersa. »Ist es aber fair, eine Person nur deshalb zurückzuweisen, weil sie tot ist? Ihr Körper hätte Ihnen überhaupt nichts ausgemacht, wenn sie noch am Leben wäre.«
    Er stieß ein leichtes, makabres Lachen aus. »Gleiche Rechte für die Toten?«
    Sie lächelte nachsichtig. »Warum nicht? Einige meiner besten Freunde sind Leichen.«
    Er schnaubte.
    Sie wurde ernst. »Ich hätte gern – etwas Gesellschaft, bei dieser.« Also nahm er seinen gewohnten Platz an der Tür ein.
    Die Medizintechnikerin legte das Ding, das einmal eine Frau gewesen war, auf ihren Tisch, entkleidete, inventarisierte, wusch und streckte es. Als sie damit zu Ende war, küsste sie die toten Lippen.
    »O Gott«, schrie Ferrell, schockiert und angewidert. »Sie sind verrückt! Sie sind eine verdammte, verdammte Nekrophile! Und noch dazu eine lesbische Nekrophile!« Er wandte sich ab und wollte gehen.
    »Sieht es so aus, für Sie?« Ihre Stimme war sanft und klang immer noch nicht beleidigt. Ihr Ton veranlasste ihn stehenzubleiben, und er blickte über die Schulter. Sie schaute ihn so sanft an, als wäre er eine ihrer kostbaren Leichen. »In was für einer seltsamen Welt müssen Sie leben, drinnen in Ihrem Kopf.«
    Sie öffnete einen Koffer und holte ein Kleid heraus, zarte Unterwäsche und ein Paar weißer, bestickter Slipper. Ein Hochzeitskleid, erkannte Ferrell. Diese Frau ist eine echte Psychopathin …
    Sie kleidete die Leiche an und ordnete ihr weiches dunkles Haar mit großer Zärtlichkeit, bevor sie sie in den Sack schob.
    »Ich glaube, ich werde sie neben diesem hübschen großen Barrayaraner platzieren«, sagte sie. »Ich denke, sie hätten sich sehr gern gehabt, wenn sie sich an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit hätten treffen können. Und Leutnant Deleo war sowieso verheiratet.«
    Sie vervollständigte die Aufschrift. Ferrells angeschlagenes Gemüt schickte ihm kleine, unterschwellige Botschaften; er rang darum, seinen Schock und seine Verwirrung zu überwinden und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Jäh platzte die Erkenntnis ins helle Licht seines Bewusstseins.
    Sie hat diesmal keine Identitätsüberprüfung durchgeführt. Du möchtest zur Tür hinausgehen, sagte er zu sich selbst, auf jeden Fall. Statt dessen trat er zaghaft zu der Leiche und las die Aufschrift.
    Fähnrich Sylva Boni, stand da. Alter: Zwanzig Jahre. Sein eigenes Alter …
    Er zitterte, als wäre ihm kalt. Es war kalt in diesem Raum. Tersa Boni packte den Koffer zusammen und kam wieder mit der Schwebepalette.
    »Ihre Tochter?«, fragte er. Es war alles, was er sagen konnte.
    Sie verzog die Lippen und nickte.
    »Das ist – ja ein unglaublicher Zufall.«
    »Überhaupt kein Zufall. Ich hatte um diesen Sektor gebeten.«
    »Oh.« Er schluckte, wandte sich ab, wandte sich ihr wieder zu, mit flammend rotem Gesicht. »Es tut mir leid, dass ich gesagt habe …«
    Sie lächelte ihr zögerndes trauriges Lächeln. »Ist schon gut!«
    Sie fanden noch ein anderes Stück mechanischen Mülls und kamen deshalb überein, noch einen Zyklus der Suchspirale abzufliegen, um sicher zu sein, dass sie alle Flugbahnen abgesucht hatten, die möglich waren. Und sie fanden noch eine Leiche, eine scheußliche Leiche.
    Sie drehte sich heftig um die eigene Achse, ihr Unterleib war von einem gewaltigen Hieb aufgeschlitzt, und die Eingeweide hingen in einer erstarrten Kaskade heraus.
    Die Gehilfin des Todes tat ihre schmutzige Arbeit, ohne auch nur einmal mit der Nase zu rümpfen. Als das Waschen dran war, diejenige ihrer Aufgaben, bei der die Technik die geringste Rolle spielte, sagte Ferrell plötzlich: »Darf ich helfen?«
    »Sicher«, sagte die Medizintechnikerin und trat beiseite. »Eine Ehre wird nicht verringert, wenn man sie teilt.«
    Und so übernahm er das Waschen, so scheu wie ein angehender Heiliger, der seinen ersten Leprakranken wusch.
    »Haben Sie keine Angst«, sagte sie. »Die Toten können Sie nicht verletzen. Sie fügen Ihnen keinen Schmerz zu,

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