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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Mühe, den vorwurfsvollen Ton in meiner Stimme zu unterdrücken. Denn ich ahnte bereits, wie Mamas Antwort lauten würde.
    »Ich habe die vergangenen achtzehn Jahre immer wieder mit Warten und Wachen verbracht. Und ich habe immer wieder mit diesem Moment gerechnet. Ich möchte trauern, Ellie. Es ist ein Wunder, dass bislang nichts geschehen ist.«
    »Du glaubst also, er ist tot«, sagte ich hart.
    »Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass er in einer Lage ist, in der wir ihn nicht mehr erreichen können. Und dass es ihn früher oder später sein Leben kosten wird.«
    »Das ist doch das Gleiche!« Ich drehte mich heftig zu Mama um, aber sie hatte ihren Blick nach wie vor auf den Volvo geheftet.
    »Leo ist ein Halbblut, Ellie. Du und ich, wir sind Menschen. Es sind verschiedene Kategorien. Uns sind Grenzen gesetzt. Und du darfst nicht vergessen, dass diese - diese Mahre unendlich viel Zeit zur Verfügung haben. Alle Zeit der Welt. Wenn sie ihn haben, sind sie nicht gezwungen, schnell zu handeln ...«
    Mamas Offenheit machte mich rasend. Ich verschlang meine Hände ineinander, um sie nicht gegen das Glas des Wintergartens zu schlagen.
    »Schön. Mag ja sein, dass du dich jetzt hinsetzen und trauern kannst, um dann ein neues Leben zu beginnen. Aber ich sehe das nicht ein. Ich werde herausfinden, was mit Papa passiert ist...«
    »Elisabeth!«, unterbrach Mama mich und riss ihren Blick von dem Volvo los. Entsetzt schaute sie mich an. »Das wirst du nicht! Bist du des Teufels? Soll ich dich auch noch verlieren? Du hast keine Chance! Nicht die geringste!«
    Ich wollte ihr widersprechen, ihr sagen, dass ich es immerhin geschafft hatte, Colin aus dem Kampf mit Tessa herauszulocken, ohne von ihr gewittert zu werden. Doch Mama wusste von alldem nichts. Ich hatte es nicht einmal Papa ausführlich erzählt. Er wusste nur, dass ich versucht hatte, mich zu tarnen, nicht aber, was genau ich im Wald erlebt und beobachtet hatte. Außerdem hatte Mama recht. Allein hatte ich tatsächlich keine Chance. Und ich war allein. Der Gedanke, ohne meinen geduldig-väterlichen Fahrlehrer - einem molligen Schnauzbart namens Bommel, der selbst dann noch die Ruhe bewahrt hatte, als ich mit Tempo achtzig über eine Autobahnraststätte gebraust war - nach Hamburg zu fahren, ließ mein Adrenalin ohnehin ungebremst in die Höhe schießen. Mich auf eigene Faust nach Italien aufzumachen, um Papa zu suchen, war vollkommener Irrsinn.
    »Okay, nicht jetzt«, lenkte ich seufzend ein. »Irgendwann. Irgendwann werde ich Papa finden. Und ich werde nicht trauern.« Denn mehr Trauer geht nicht, dachte ich, was ich nicht aussprechen wollte. Ich trauerte bereits um Colin - und das, obwohl ich wusste, dass er nur mit äußerster Mühe sterben konnte. Er existierte. Doch er gehörte nicht zu meinem Leben. »Vielleicht gibt uns ja der Safeinhalt Aufschluss, wohin es ihn verschlagen haben könnte«, setzte ich trotzig hinzu.
    Mama verdrehte ihre Augen aufstöhnend gen Himmel und ihre Locken tanzten, als sie den Kopf schüttelte.
    »Seit wann bist du eigentlich so abenteuerlustig?«
    »Ich bin nicht abenteuerlustig. Ich will wissen, was passiert ist. Aber ich beuge mich eurem Diktat und hole zuerst Paul zurück. Einverstanden?«
    Nun musste sie Ja sagen. Es ging gar nicht anders. Sie hatte die Wahl - Hamburg oder Italien.
    Mama presste für eine Sekunde die Lippen zusammen. »Wann wirst du fahren?«
    »Morgen früh«, entschied ich spontan. Ich musste die Gunst der Stunde nutzen. »Ich werde gleich meine Sachen packen. Kümmerst du dich um das Auto?«
    Mamas Schluchzen und Wüten und Schimpfen drang bis zu mir hoch, als ich ebenfalls fluchend und völlig konzeptlos Klamotten aus meinem Schrank zerrte und in meinen Trolley knüllte. Währenddessen arbeitete sich Mama zeternd durch Papas Wagen und zog dabei die Blicke der Nachbarn auf sich. Ihr war das so gleichgültig wie mir. Es machten sowieso schon die ersten Gerüchte über Papas Verschwinden die Runde und von der Klinik war ein verschnupfter Brief gekommen, dem sogleich die fristlose Kündigung beigelegt worden war. Papa hatte es sich hier ordentlich vergeigt.
    Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie lange ich brauchen würde, um Paul dazu zu überreden heimzukommen. Mir war klar, dass Mama nicht erwartete, ihn hier für alle Zeit einquartieren zu können. Er hatte sein Medizinstudium und seine Wohnung in Hamburg. Es ging vielmehr darum, ihn überhaupt wieder mit seiner Restfamilie zusammenzubringen, wenn auch

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