Schiffbruch und Glücksfall
aber ist jene, in denen diese Geschichte spielt – das nördliche Finistère.
Die Landschaft ist rau, das Meer und das Klima sind es auch, aber die Strände ziehen sich über Kilometer weißsandig an der Küste entlang. Die Gegend bietet zu jeder Jahreszeit, ja zu jeder Tageszeit, immer wieder neue Überraschungen. Dünenlandschaften, bewaldete Flussmündungen, bizarre Felsformationen, verborgene Quellhäuschen, Menhire und Dolmen, kleine Häfen – auf dem schier endlosen Küstenwanderweg tun sich immer wieder neue Wunder auf.
Noch weiter ostwärts lädt eine nächste Halbinsel zum Besuch ein: Cap Fréhel ist bedeckt von einer Heidelandschaft, und in den verstreut liegenden kleinen Örtchen wetteifern die Bewohner mit der Gestaltung ihrer Gärten. Nie habe ich eine solche Blütenpracht gesehen wie dort auf dem Weg zu dem Fort de la Latte, der alten Trutzburg an der äußersten Spitze des Caps.
Und selten habe ich die Sonne derart pompös untergehen sehen wie an dem Leuchtturm dort.
Leseprobe aus
Andrea Schacht
Die keltische Schwester
Roman
ISBN 978-352-00806-1
475 Seiten, Flexocover
2. Faden, 1. Knoten
Auf der glutflüssigen Lava bildete sich eine dünne Hülle aus krustigen, erstarrten Steinmassen, als der unablässig kreisende Erdball allmählich abkühlte. Wie Schollen schwammen sie auf dem glühenden Meer, stießen aneinander, schoben sich übereinander, türmten sich hier zu Gebirgen auf, brachen dort zu tiefen Schluchten auseinander.
Aus den jungen Bergen quoll wie Blut aus frischen Wunden flüssiges Gestein, wirbelten Wolken aus Asche empor, Gase und Staub. Die Urkontinente, noch bloß und karg, ohne Leben, bewegten sich unendlich langsam gegeneinander, und an den Kanten, da, wo sie aneinanderrieben, bauten sich an den Bruch- und Verwerfungsstellen ungeheure Spannungen auf. Manchmal wurde die Spannung zu hoch, und unter mächtigem Beben rissen sie sich voneinander los, brach hartes Gestein auf, falteten sich Gebirge zu himmelhohen Klippen.
Später bildete sich aus den Gasen Wasser, es regnete. Meere und Ströme entstanden, ihre Wasser überfluteten das Land, spülten Gräben und Höhlen aus und sammelten sich in tiefen Gesteinsschichten. Die rauen Konturen wurden glattgeschliffen, Staub rieb im Wind an dem harten Fels, lagerte sich ab, verdichtete sich und wurde später zu fruchtbarem Boden.
Die Erde wurde älter, und ihre dünne Haut wurde durchzogen von einem Flechtwerk aus über- und unterirdischen Wasserläufen, sie bekam alte Narben von Rissen und Brüchen, sie war durchwachsen von Adern aus metallhaltigemErz und von kristallisierten Mineralien. Manches Gestein enthielt strahlende Elemente, manches magnetische Kräfte. Manches auch solche Kräfte, die der Mensch noch nicht entdeckt hat, noch nicht mit seinen Erkenntnissen erklären kann.
Trotzdem sind sie da, diese Kräfte, wenn auch nicht alle sichtbar, nicht messbar, aber doch spürbar für die, die Sinne haben, sie zu fühlen. Sie ziehen sich durch Täler und Berge, durch glühende Geröllwüsten, durch eisige Tundren, durch düstere Wälder, goldene Steppen, entlang der schroffen Küsten und durch liebliche Auen. Und dort, wo sich diese Ströme, die Pfade der Kraft, in der Erde kreuzen, gab es schon immer auffällige Phänomene.
Es wachsen dort vielleicht seltsam geformte Pflanzen, oder es bleiben Stellen unerwartet kahl. Manche dieser Plätze werden auch von den Lebewesen gemieden, doch an vielen treffen sich dort Jahr ein, Jahr aus Scharen von Vögeln, dorthin ziehen sich die Tiere zurück, um ihren Nachwuchs zu gebären oder um den Tod zu erwarten.
An den Knotenpunkten der Kraftlinien geschahen schon immer sonderbare Dinge.
Menschen, die fühlen können, finden dort die Tore zur
Autre Monde
. Wenn sie es wagen, die Brücke zu überschreiten, kommen sie immer verändert zurück.
Sie wurden als Weise geachtet, als Wissende und Führer, als Hexen verbrannt und als Wahnsinnige eingesperrt.
1. Faden, 2. Knoten
Die nächste Stunde war von so entsetzlicher Langeweile, dass ich meine Gedanken einfach wandern ließ.
Es war vor etwa einem halben Jahr gewesen, wenn ich so zurückdachte. Ja, vor einem halben Jahr, genau nach diesem katastrophalen Urlaub in Kenia. Die Gruppe von Freunden und Bekannten, der ich mich angeschlossen hatte, entpuppte sich als schlichtes Chaos-Team. Ein Pärchen lag sich ständig in den Haaren, zwei weitere versanken in namenloser Leidenschaft, jedoch nicht zu den eigenen Partnern, eine der Frauen
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