Schlachthof 5
viele Dinge, um anzuhalten und zu schauen — und dann war es Zeit zu gehen, immer war es Zeit zu gehen. Die kleinen Mädchen hatten weiße Sonntagskleider und schwarze Lackschuhe an, so daß Fremde sofort wissen würden, wie nett sie waren. »Zeit zu gehen, Mädchen « , mahnte ich. Und wir gingen.
Und die Sonne ging unter, und wir aßen in einem italienischen Lokal zu Abend, und dann klopfte ich an die Eingangstür des schönen Steinhauses von Bernard V. O'Hare. Ich trug eine Flasche irischen Whisky im Arm wie eine Glocke, mit der man zu Tisch läutet.
Ich lernte Mary, seine nette Frau, kennen, der ich dieses Buch widme. Ich widme es auch Gerhard Müller, dem Dresdner Taxifahrer. Mary O'Hare ist eine Diplomkinderschwester, was für eine Frau eine hübsche Sache ist.
Mary bewunderte die beiden kleinen Mädchen, die ich mitgebracht hatte, brachte sie mit ihren eigenen Kindern zusammen, schickte sie alle nach oben zum Spielen und zum Fernsehen. Erst nachdem die Kinder gegangen waren, hatte ich das Gefühl, daß Mary mich oder etwas an dem Abend nicht mochte. Sie war höflich, aber kühl.
»Es ist ein reizvolles, gemütliches Haus, das Sie hier haben « , sagte ich, und das war es wirklich.
»Ich habe ein Eckchen zurechtgemacht, wo ihr miteinander sprechen könnt und nicht gestört werdet « , meinte sie.
»Das ist gut « , sagte ich und stellte mir zwei Ledersessel am Kaminfeuer in einem getäfelten Zimmer vor, wo zwei alte Soldaten trinken und plaudern konnten. Aber sie führte uns in die Küche. Sie hatte zwei steiflehnige Stühle an einen Küchentisch mit einer weißen Porzellanplatte gerückt. Diese Tischplatte schrie von dem reflektierten Licht einer grellen Zweihundertwattbirne, die über ihr hing. Mary hatte einen Operationsraum hergerichtet. Sie stellte nur ein einziges Glas darauf, das für mich bestimmt war. Sie erklärte, O'Hare könne seit dem Krieg das scharfe Zeug nicht mehr trinken.
Wir setzten uns also. O'Hare war verlegen, aber er wollte mir nicht sagen, was nicht stimmte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was an mir war, das Mary so auf die Palme gebracht hatte. Ich war ein häuslicher Mann. Ich war nur einmal verheiratet gewesen. Ich war kein Trinker. Ich hatte ihrem Mann im Krieg nichts Gemeines angetan.
Sie schenkte sich ein Glas Coca-Cola ein und machte viel Lärm, indem sie das Blech mit den Eiswürfeln in das blank geputzte Ausgußbecken knallte.
Dann ging sie in einen anderen Teil des Hauses. Aber sie konnte nicht stillsitzen. Sie ging durchs ganze Haus, öffnete und schloß Türen, rückte sogar Möbel, um ihrem Ärger Luft zu machen.
Ich fragte O'Hare, was ich denn getan oder gesagt hätte, daß sie sich so benahm.
»Kümmere dich nicht darum « , erwiderte er. »Mach dir nichts draus. Es hat nichts mit dir zu tun. «
Das war freundlich von ihm. Er log. Es hatte alles mit mir zu tun.
Also versuchten wir, Mary zu ignorieren und uns an den Krieg zu erinnern. Ich goß zwei Gläser von dem Gesöff, das ich mitgebracht hatte, hinter die Binde. Wir kicherten oder grinsten manchmal, als fielen uns wieder Kriegsgeschichten ein, aber keiner von uns konnte sich etwas Gescheites ins Gedächtnis rufen. O'Hare erinnnerte sich an einen Burschen, der sich in Dresden vor dem Luftangriff mit Wein hatte vollaufen lassen, und wir mußten ihn in einem Schubkarren heimbringen. Das war nicht viel, um ein Buch darüber zu schreiben. Ich erinnerte mich an zwei russische Soldaten, die eine Uhrenfabrik geplündert hatten. Sie hatten ein Pferdefuhrwerk voll Uhren. Sie waren glücklich und betrunken. Sie rauchten riesige Zigaretten, die sie aus Zeitungspapier gedreht hatten.
Das war so ungefähr alles, was wir an Erinnerungen hatten, und Mary machte noch immer Krach. Schließlich kam sie wieder in die Küche, um sich noch eine Cola zu holen. Sie nahm eine weitere Blechschale mit Eiswürfeln aus dem Kühlschrank und knallte sie in den Ausguß, obwohl bereits eine Menge Eis vorhanden war.
Dann wandte sie sich mir zu, ließ mich merken, wie ärgerlich sie war und daß der Ärger mir galt. Sie hatte mit sich selbst gesprochen, was sie sagte, war das Bruchstück eines viel umfangreicheren Gesprächs.
»Ihr wart damals nicht viel mehr als kleine Kinder! «
sagte sie.
»Was? fragte ich.
»Ihr wart nur kleine Kinder im Krieg — genau wie die im oberen Stockwerk! «
Ich nickte zustimmend. Wir waren törichte, jungfräuliche Männer im Krieg gewesen, gerade am Ende der Kindheit angelangt.
»Aber Sie
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