Schlagschatten
vielleicht. In dieser Straße stellte Walt Whitman 1855 den Schriftsatz der ersten Ausgabe seiner Grashalme her, und hier wetterte Henry Ward Beecher von der Kanzel seiner Backsteinkirche gegen die Sklaverei. So viel zum Lokalkolorit.
Es ist eine kleine Einzimmerwohnung im zweiten Stock eines dreistöckigen Hauses aus braunem Sandstein. Blue stellt zufrieden fest, dass sie vollständig eingerichtet ist, und als er im Zimmer umhergeht, entdeckt er, dass alles neu ist: das Bett, der Tisch, der Stuhl, der Teppich, die Bettwäsche, die Küchenvorräte, alles. Im Schrank hängt ein kompletter Anzug, und Blue, der sich fragt, ob er für ihn gedacht ist, probiert ihn an und sieht, dass er passt. Es ist zwar nicht der größte Raum, in dem ich je gewesen bin, sagt er sich, während er von einem Ende des Zimmers zum anderen geht, aber er ist recht gemütlich, recht gemütlich.
Er geht wieder nach draußen, überquert die Straße und betritt das gegenüberliegende Haus. Im Flur sucht er nach Blacks Namen auf einem der Briefkästen und findet ihn: Black – 2. Stock. So weit, so gut. Dann kehrt er in sein Zimmer zurück und macht sich an die Arbeit.
Er schiebt die Fenstervorhänge auseinander, blickt hinaus und sieht Black in seinem Zimmer auf der anderen Straßenseite an einem Tisch sitzen. Soweit Blue erkennen kann, schreibt Black. Ein Blick durch den Feldstecher bestätigt es. Die Linsen sind jedoch nicht stark genug, um das Geschriebene lesbar zu vergrößern, und auch wenn sie es wären, zweifelt Blue daran, dass er die Schrift verkehrt herum lesen könnte. Alles, was er mit Sicherheit sagen kann, ist daher, dass Black mit einem roten Füllfederhalter in einem Notizbuch schreibt. Blue holt sein eigenes Notizbuch hervor und trägt ein: 3. Febr. 3 Uhr nachm. Black schreibt an seinem Tisch.
Ab und zu unterbricht Black seine Arbeit und starrt aus dem Fenster. Einmal denkt Blue, dass er ihn direkt ansieht, und er duckt sich zur Seite. Aber dann erkennt er, dass es nur ein leeres Starren ist, eher ein Nachdenken als ein Sehen, ein Blick, der die Dinge unsichtbar macht, sie nicht einlässt. Black steht hin und wieder von seinem Stuhl auf und verschwindet an einer nicht einsehbaren Stelle im Raum, in einer Ecke, vermutet Blue, oder vielleicht im Badezimmer, aber er bleibt nie sehr lange weg und kehrt immer gleich zum Schreibtisch zurück. Das geht mehrere Stunden so weiter, und Blue wird trotz seiner Bemühungen nicht schlauer. Um sechs Uhr schreibt er den zweiten Satz in sein Notizbuch: Das geht mehrere Stunden so weiter.
Blue ist nicht so sehr gelangweilt, er fühlt sich vielmehr enttäuscht. Da er nicht lesen kann, was Black geschrieben hat, ist bisher alles völlig bedeutungslos. Vielleicht, denkt Blue, ist er ein Verrückter, der plant, die Welt in die Luft zu sprengen. Vielleicht hat dieses Schreiben etwas mit seiner geheimen Formel zu tun. Aber Blue ist schon im nächsten Moment peinlich berührt von einer so kindischen Vorstellung. Es ist zu früh, etwas zu wissen, sagt er sich, und fürs Erste beschließt er, sich kein Urteil zu bilden.
Er denkt an dies und das, und schließlich kommt ihm die zukünftige Mrs. Blue in den Sinn. Sie hatten vor, heute Abend auszugehen, erinnert er sich, und wenn White heute nicht in seinem Büro erschienen wäre und es diesen neuen Fall nicht gäbe, würde er jetzt mit ihr zusammen sein. Zuerst das chinesische Restaurant in der 39th Street, wo sie mit den Essstäbchen gekämpft und sich unter dem Tisch an den Händen gehalten hätten, und dann das Doppelprogramm im Paramount-Kino. Einen kurzen Moment lang sieht er im Geiste ein überraschend klares Bild ihres Gesichts vor sich (lachend, mit gesenkten Augen in gespielter Verlegenheit), und es wird ihm bewusst, dass er viel lieber bei ihr sein als Gott weiß wie lange in diesem Zimmer sitzen würde. Er denkt daran, sie für eine kleine Plauderei anzurufen, zögert und entscheidet sich dagegen. Er will nicht schwach erscheinen. Wenn sie wüsste, wie sehr er sie braucht, würde er seinen Vorteil zu verlieren beginnen, und das wäre nicht gut. Der Mann muss immer der Stärkere sein.
Black hat nun seinen Tisch frei geräumt und das Schreibmaterial durch das Abendessen ersetzt. Er sitzt da, kaut langsam und starrt abwesend aus dem Fenster. Blue spürt, dass er hungrig ist, und er sucht im Küchenschrank nach etwas Essbarem. Er entschließt sich für Schmorfleisch aus der Büchse und tunkt die Soße mit einer Scheibe Weißbrot auf. Nach dem
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