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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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Vorwort

    Und das alles geschah vor nicht allzu langer Zeit in Lübeck.
    Sie kennen Lübeck nicht, die alte Hansestadt Lübeck? – Dabei liegt sie doch ganz in Ihrer Nähe. Mitunter spielen sich dort schon recht merkwürdige Geschichten ab – und von einer möchte ich Ihnen erzählen. Sie ist so fantastisch, dass sogar manche Lübecker an ihrer Echtheit zweifeln.

     
    Aber davon später. Vorher lade ich Sie zu einem kleinen Rundgang durch die Handlungsorte meiner Geschichte ein. Am besten, Sie setzen sich gleich in Ihr Auto und geben ›Lübeck‹ in Ihr Navigationsgerät ein. Eine freundliche, ausgeglichene Automatenstimme weist Ihnen, ohne auf Ihre Widerrede zu achten, sogleich den richtigen Weg. Während Sie den Anweisungen folgen, können Sie und Ihre Begleitung entspannt den Blick über die Umgebung schweifen lassen.
    Denn der Weg nach Lübeck führt in der Tat durch eine wunderschöne Landschaft. Sie kommen durch gepflegte Dörfer mit Reetdachkaten, die von fruchtbaren Wiesen und goldgelben Rapsfeldern umgeben sind. Hin und wieder lädt ein gemütliches und kaum teures Gasthaus den Reisenden aus der Ferne zu ›Sauerfleisch mit Bratkartoffeln‹ ein, einem regionaltypischen Mittagessen. Ein paar alte Wehrkirchen mit Fundamenten aus Findlingen, schmiedeeiserne Wegekreuze und holzgeschnitzte Gedenktafeln erinnern an ferne Tage. Überhaupt ist hier alles sehr friedlich und überschaubar, so, als wäre die Zeit stehen geblieben.
    Bald haben Sie das Meer erreicht. Viel ist da um diese Jahreszeit nicht zu sehen. Die wegen der gefürchteten Sturmfluten hochgezogenen Deiche geben nur selten den Blick auf ein paar gelangweilt schlendernde Spaziergänger frei. Hin und wieder taucht einer der leeren Strandkörbe im Sichtfeld auf. Die wenigen Segelboote am Horizont scheinen ihren Weg zum Heimathafen zu suchen. Genau wie Sie Ihren nur noch kurzen Weg nach Lübeck.
    Gleich hinter Neustadt, wenn Sie von Norden kommen, nur wenige Kilometer unterhalb der Meeresküste, tauchen das erste Mal die Kirchturmspitzen von Lübeck auf. Von Weitem sieht die Stadt noch immer so mittelalterlich aus wie vor Hunderten von Jahren, als man sie das Kronjuwel der über die Ost- und Nordsee herrschenden Kaufmannshanse nannte.
    Nicht alle Lübecker wissen, woher der Name ihrer Heimatstadt stammt. Viele glauben, er leite sich von dem ›Lübecker Marzipan‹ ab, dabei verhält es sich natürlich umgekehrt. Aber das Marzipan ist nun einmal weltweit bekannter als die Stadt selbst. Andere meinen, ›Lübeck‹ gehe aus der Bezeichnung ›lütte Bäke‹, also ›kleiner Bach‹, hervor. Auch das stimmt nicht, obwohl die Trave, die Lübeck früher von fast allen Seiten umspülte, kein wirklich großer Fluss ist. Das dem Namen zugrunde liegende Wort ›Liubice‹ kommt vielmehr aus dem Slawischen und bedeutet – je nach Auslegung – ›Siedlung der L’ub‹ oder ›die Liebliche‹.
    Eine kleine Gruppe von Lehrern des Katharineums, der altsprachlichen Oberschule, von der in meiner Geschichte noch die Rede sein wird, findet ihre Stadt nicht besonders lieblich. Vor Kurzem, während einer ihrer Stammtischrunden in der benachbarten Kneipe ›Buthmanns‹, beschloss sie, Lübeck in Anlehnung an das griechische Wort ›chronos‹, die Zeit, umzutaufen in ›Chronaborg‹: Hort der Zeit – Stadt, in der die Zeit stehen geblieben ist.
    Ausgangspunkt ihrer Überlegung war die Tatsache, dass die berühmte große Astronomische Uhr, die die Marienkirche am Marktplatz ziert, nicht zwischen Sommer- und Winterzeit unterscheiden kann. Aber das diente ihnen nur als Vorwand. In Wahrheit hatten sie es satt, sich ständig über eine Kulturpolitik aufzuregen, der es ihrer Meinung nach völlig an Aufgeschlossenheit gegenüber dem zeitgemäßen Wandel fehlte. Für sie handelte der Senat der Stadt nach dem Prinzip: Meide alles, was neu und was fremd ist.
    Ein entsprechender Antrag in der Bürgerschaft sorgte für heftige Aufregung. Dazu muss man wissen, dass die alteingesessenen Hanseaten in jeder Beziehung äußerst konservativ mit ihrer Zeit umgehen. Und daher verwundert es nicht, dass der Antrag der Studienräte nach längerer heftiger Debatte abgelehnt wurde.
    In ihrer Blütezeit war die Stadt von einem riesigen Ringwall umgeben, der zum Schutze vor Eindringlingen außerdem noch mit einem raffinierten Wassergrabensystem verbunden wurde. Inzwischen hat der Wall seine militärische Funktion eingebüßt und wurde größtenteils geschliffen, um friedlichen Parkanlagen

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