1475 - Zombie-Katzen
Emma Higgins zitterte. Es lag nicht nur an den Geräuschen. Diesmal kam noch die Umgebung hinzu, denn Emma stand nicht irgendwo, sie hielt sich auf einem Friedhof auf, weil sie – wie jede Woche – das Grab ihres vor drei Jahren verstorbenen Mannes besuchen wollte, und dabei war es ihr egal, dass die Zeit schon fortgeschritten war und das helle Tageslicht den ersten Schleiern der Dämmerung hatte weichen müssen.
Nun allerdings kamen ihr die Schreie schon schlimm vor, und auch die Umgebung hatte sich verändert. Ihr war, als hätte der alte Friedhof ein anderes, unheimliches Gesicht bekommen.
Die Gräber mit ihren Steinen und Figuren schienen verhüllt zu sein. Was immer normal gewirkt hatte – wie Bäume und Sträucher – hatte sich plötzlich in eine bedrohliche Kulisse verwandelt.
Und dann diese Schreie. Sie hatten sich in den letzten Sekunden vermehrt und waren nicht nur aus einer Richtung an Emmas Ohren gedrungen.
Von überall her hatte sie die Laute vernommen, und sie glaubte, dass sie an Lautstärke zunahmen, was nichts anderes besagte, als dass sich die Schreier auf sie zu bewegten.
Emma Higgins hatte sich auf dem Rückweg befunden. Leider war es bis zum Ausgang noch relativ weit. Komischerweise fürchtete sie sich davor, in diese Richtung zu gehen, aber sie riss sich schließlich zusammen und gab sich den nötigen Stoß.
Der erste Schritt fiel ihr nicht leicht. Sie hatte das Gefühl, in eine Falle zu laufen. Die Umgebung schien sich zu verengen. Alles schien auf sie einzudringen. Im Mund spürte sie den bitteren Geschmack von Gallensäften. Der Schweiß hatte sich auf ihrem Gesicht verteilt, und wenn sie ging, zitterten ihre Beine.
Sie kannte sich auf dem Gelände aus. So wusste sie auch, welchen Weg sie nehmen musste, um so schnell wie möglich den Ausgang zu erreichen. Es war einer dieser Hauptwege, sehr breit, auf dem sie sich sicherer fühlte. Hier waren die Gräber kaum zu sehen, weil sie sich hinter den Büschen und Sträuchern versteckten.
Auf dem Boden lagen kleine Steine, die hin und wieder durchgeharkt wurden und unter ihren Sohlen leise knirschten, als sie mit schnellen Schritten auf den Ausgang zulief, was fast aussah wie eine Flucht.
Genau das war es auch. Eine Flucht. Was sie hier erlebte, das war ihr in all den Jahren nach dem Tod ihres Mannes noch nie passiert.
Dieser Friedhof war zu einem Hort des Grauens geworden. Die klagenden Schreie sorgten dafür, und sie dachte noch immer darüber nach, wer sie ausgestoßen haben könnte.
Beim Gehen keuchte sie. Bei jedem Ausatmen verzerrte sich ihr Gesicht. Sie fühlte sich zwar noch nicht alt, aber sie zählte auch nicht gerade zu den jungen Menschen. Das war man mit 55 Jahren nicht mehr.
Tiere schrien, jaulten oder kreischten. Welche Tiere gaben derartige Töne von sich?
Sie hatte diese disharmonische Musik schon lange gehört und über sie nachgedacht, und jetzt endlich war ihr eine Lösung eingefallen.
Katzen!
Ja, es mussten Katzen sein, die auf dem Friedhof umherstreunten und sich so lautstark bemerkbar machten.
Emma Higgins konnte wieder lächeln, obwohl sie Seitenstiche bekam und langsamer gehen musste. Katzen hatte sie immer gemocht.
Sie zählten zu ihren Lieblingstieren, und deshalb fürchtete sie sich auch nicht vor ihnen.
Aber warum hatten sich die Katzen ausgerechnet hier auf dem Friedhof versammelt?
Es war müßig, darüber nachzudenken, sie hätte kaum eine Erklärung gefunden.
Trotzdem tat sie es, während sie langsamer ging und eine Hand gegen die rechte Seite presste, weil die Seitenstiche nicht aufhörten.
Etwas fiel ihr ein, aber es war ihr nicht möglich, einen Zusammenhang mit den jaulenden Geräuschen herzustellen, weil ihr diese Erklärung einfach zu absurd erschien.
An diesen Friedhof grenzte noch ein zweiter. Kein Gelände, in dem Menschen begraben lagen, nein, dieser Friedhof gehörte einzig und allein den Tieren. Hier begruben die Tierfreunde ihre Lieblinge.
In der Regel waren es Katzen und Hunde, aber auch Vögel wurden dort bestattet.
Emma Higgins hatte dieses Gelände zweimal besucht. Es war mehr Zufall gewesen, dass sie dorthin geraten war. Sie hatte nur den Kopf geschüttelt und konnte manche Menschen nicht begreifen, die die Gräber ihrer Tiere mehr pflegten als die ihrer menschlichen Verstorbenen. So etwas wollte ihr nicht in den Kopf.
Tote Hunde, tote Katzen…
Der Schauer erwischte sie beim Gehen. Ja, tote Katzen. Aber die sie hörte, die waren lebendig, und durch ihren Kopf schoss ein
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