Schleichendes Gift
ruhig, aber unausweichlich. »Aber Kevin Matthews sollten Sie auf keinen Fall zu fassen bekommen.«
Zum ersten Mal schien Anderson bestürzt, sein Gesicht sah erschrocken und wachsam aus. »Ich arbeite hier und da als freier Journalist. Ich habe ein Interview mit ihm gemacht.«
»Wie lange haben Sie gebraucht, bis Sie einen Journalisten mit den richtigen Anfangsbuchstaben fanden? Oder hatten Sie die Idee, wie Sie sich an Kevin heranmachen könnten, als Sie die echte Verfasserangabe von Justin Adams sahen?« Tony neigte den Kopf zur Seite und taxierte Anderson. »Ich bin neugierig, wissen Sie. Sind Sie erleichtert, dass wir Sie aufgehalten haben? Oder ärgern Sie sich, weil Sie das nicht zu Ende führen können, was Sie angefangen haben? Nur aus Neugier, wie sollte Ihr Spiel denn enden? Wollten Sie die Liste abarbeiten und dann aufhören? Und die Zeit, die Ihnen noch bleiben würde, bis zum Ende durchleben? Oder wollten Sie klein beigeben wie Ihre Mutter?«
Ein Muskel an Andersons Kiefer spannte sich. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, es war ein Interview. Ich arbeite als freier Journalist, okay? Dann fing er an durchzudrehen. Ich habe keine Ahnung, warum. Sie sollten herausfinden, wo er war, bevor er in meine Wohnung gekommen ist. Was immer er genommen hat, er muss es dort eingenommen haben. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Gift, schwuler Sex? Das ist nicht meine Welt.«
Tony wollte gerade weitersprechen, aber Carols Stimme in seinem Ohr ließ ihn innehalten. »Tony, ich habe gerade von der Spurensicherung gehört. Sie haben seine Liste gefunden, sie war unter die Tastatur seines Computers geklebt. Die zwei Ziele, die du noch nicht hast, sind: ›Eine CD aufnehmen, die in die Charts kommt‹ und ›Mit einem Topmodel ausgehen‹. Hast du verstanden?«
Er nickte. »Oh doch, Jack. Kevin und sein Ferrari. Auch auf Ihrer Liste. Wer sollte also der Nächste sein? Welchen der bekannten jungen Musiker von Bradfield wollten Sie niederstrecken? Oder wollten Sie sich an den Typen mit der Modelfreundin heranmachen? Lassen Sie mich überlegen, wer hat eine Supertussi, die über den Laufsteg stolziert? Das müsste Deepak sein, oder? Unser einheimischer Modeschöpfer. Stand er auch auf der Liste?«
Anderson hatte die Augenbrauen zusammengezogen, und eine flache Falte war dazwischen entstanden. Ihm Angst einzujagen, das war jetzt Tonys Ziel. Ihn zu beunruhigen. Ihn beklommen zu machen. Ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen. Und ihm dann Trost anzubieten.
»Man macht sich hier große Sorgen um Kevin, wissen Sie. Er ist beliebt. Was sollte es diesmal sein? Eisenhut? Fingerhut? Strychnin? Ich muss sagen, Sie hatten da eine elegante Idee. Gift. Ihr Leben vergiften, so wie er Ihres vergiftet hat.« Und plötzlich wusste er es. Die Wiederholung, die Anderson aus dem Gleichgewicht bringen sollte, hatte Tony eine Tür geöffnet. Es war ein Sprung, das wusste er. Aber es war ein Sprung, der wirklich sinnvoll war.
Er faltete die Hände auf dem Tisch und ließ das Mitleid, das er fühlte, zum Ausdruck kommen. »Nur einmal. Mehr war nicht nötig. Sie wollten alles erfahren, alles wissen. Aber es war nicht wie sonst, wenn Sie die Grenzen überschritten und Spaß hatten, oder? Sie mochten es nicht. Denn Sie haben recht. Sie sind nicht schwul. Sie dachten, es würde in Ordnung gehen, aber Sie hassten es. Hassten es so sehr, dass Sie sich selbst zu hassen begannen. Da haben Sie aufgehört, Jack zu sein, oder? Jack war erledigt, war total im Arsch. Also ließen Sie Jack hinter sich. Sie wussten, tot zu sein bedeutete, dass Sie sich von der Vergangenheit verabschieden mussten, also taten Sie das. Jack wurde zu John und manchmal Jake. Sie hatten aber immer noch Ihre Träume. Hatten immer noch die Liste. Glaubten immer noch, Sie könnten aufsteigen.«
Anderson packte seinen Stuhl noch fester, seine Schultermuskeln spannten sich an und strafften sich. Er schüttelte heftig den Kopf, als wolle er versuchen, etwas Klebriges, Ekelhaftes abzuschütteln.
Tony sprach jetzt leise. »Und dann erfuhren Sie es. Nur einmal, mehr war nicht nötig gewesen. Dieses Virus im Blut, das Sie vergiftete, Sie umbrachte. Es bringt nichts, dass man heutzutage Medikamente nehmen und länger leben kann. Wer will ohne seine Träume länger leben? Was ist der Sinn einer solchen Existenz? Die Welt lag Ihnen zu Füßen, Sie wollten jemand sein. Und eine schreckliche Nacht nahm Ihnen all das weg.«
Das Schweigen zwischen ihnen wurde länger, angespannt und
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