Schmusemord
Aufsätze, ein paar Notizen, insgesamt Dinge, von denen sich annehmen ließ, daß sie einen Freund oder Bekannten irgendwann einmal beeindruckt oder amüsiert haben mochten. Nichts davon sah wie gezielte Sammlung für ein Dossier aus, und nichts davon war wirklich hilfreich. Zettel, Hotelbelege, Tankquittungen, alle aus dem Großraum Köln-Bonn; etliche Blätter mit kryptischen Notizen wie »EJ gestern oder vielleicht« (EJ war zweifellos Elias Jüssen, der Kölner Magnat, für dessen Leben sich Czerny interessiert hatte), oder »EJ ArFMar.«, was »Arbeitsfrühstück im Maritim« und »Arnold Fritz Martin« und »Armee Feuerwehr Marine« und »Aragon Frankreich Martinique« und allerlei mehr bedeuten mochte. Wesentliche Mitteilungen, die Czernys Interesse an dem Kölner Finanzier erhellen oder gar begründen konnten, waren nicht dabei.
Komarek hatte bedauert, nicht mehr liefern zu können; das Bedauern half Matzbach kaum weiter als die wenigen Papiere. Dies sei alles, was man bei dem Toten gefunden habe; soweit Komarek wußte, gab es auch in Wien nicht mehr. Natürlich war Czernys Wohnung zunächst einmal amtlich versiegelt worden; Komarek wollte demnächst mit dem zuständigen Anwalt dort alles durchsuchen, sobald die Gemächer zugänglich und nicht von bellenden oder geifernden Witwen der legitimen wie illegitimen Variante belagert seien.
Es wurde dunkel. Der Westhimmel glomm nur noch wenig, aber die Finsternis der Unterlagen hing nicht davon ab. Matzbach knurrte leise, packte die Papiere wieder in die Plastiktüte, räumte den Verandatisch ab und ging in Hermines Atelier.
Sie stand vor dem Mahagoni. Jüssens hohe Stirn, nachmittags noch kaum zu ahnen, war sichtbar geworden, wie aus dem Holz gesprossen, und unterhalb der Geheimratsecken hatte Hermine zwei Stümpfe stehenlassen. Den rechten spitzte sie eben zu einem Horn.
»Soll das Genosse Luzifer werden?« Baltasar blieb außerhalb des Bannkreises der Punktstrahler stehen.
»Wenn er nicht Elias hieße ...« murmelte Hermine.
»O du Hörnererregende – wie lange gedenkst du derlei hier zu tun?«
Sie legte das Messer auf den Klotz, der die unfertige Büste trug. »Du hast recht. Man sollte woanders damit fortfahren.«
Am nächsten Vormittag, nach einem länglichen Telefongespräch mit Komarek, hauchte Matzbach einen Kuß auf Hermine Stirn, sagte »O Holde, ich fahr dahin«, erwiderte nichts auf »Dann weiß ich ja mal, was ich fahren lasse« und verließ das Haus. Oben auf der kleinen Doppeltreppe zum Innenhof blieb er stehen und musterte skeptisch den Himmel, der sowohl Regen als auch Trockenheit und jedenfalls Schwüle verhieß. Er betastete die leichte helle Windjacke, spürte die Gegenwart von Brieftasche und Zigarren, ließ den Blick über die versammelten Autos streifen und seufzte. »Ach, wie soll ich mich entscheiden?«
Hermines alter dunkelblauer Benz lehnte gewissermaßen an der Wand des Ostflügels, die Hände in den Taschen. Die schokoladenblaue DS 21 fläzte sich daneben, als wäre der Pflasterboden des Hofs nicht von der sahneweißen Lederpolsterung des Wagens zu unterscheiden. Der erst fünf Jahre alte BMW 750 iL, Junior des Fuhrparks, schien im Sprung erstarrt und wartete auf den Ruf
Action
.
Matzbach seufzte abermals, ging die Stufen hinab, tätschelte die Motorhaube des Citroën und schloß den BMW auf. Der Vorgänger für harte Einsätze, ein Rover, war im Vorjahr in die Luft gesprengt worden; die DS diente beschaulichen Ausfahrten; den BMW hatte er sich für die harten Touren angeschafft. Irgendwann war ihm aufgegangen, daß die Abkürzung durchaus Baltasar-Matzbach-Wagen bedeuten könnte, und für die Langfassung hatte er sich entschieden, weil er, wie er sagte, auch einmal seine 190 Zentimeter und 117 Kilo hinten unterbringen können wollte, um sich beim Fahren zuzuschauen.
Über Wesseling fuhr er nach Köln-Süd. Komplizierte Manöver in der Nähe der Ulrepforte ließen ihn den Einfallsreichtum jener Leute schmähen, deren Aufgabe es ist, durch Abbiegeverbote und Einbahnstraßen das Navigieren interessant zu machen. Dafür wurde er mit einem Parkplatz vor dem Antiquariat belohnt. Daß es ein Anwohner-Parkplatz war, störte ihn kaum, da er sich nicht lange aufhalten wollte.
Felix Yü schleppte eben einen Stapel aus der Packecke zum Extratisch. Der in Europa geborene Chinese, lange Zeit Kampfsportlehrer, hielt den Lektüreturm offenbar mühelos mit der Linken in Nabelhöhe, preßte das Kinn auf das oberste Werk und hob den rechten
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