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Schmusemord

Schmusemord

Titel: Schmusemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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ungewöhnlich genug; sprich, o holder Knabe.«
    Komarek schnalzte leise. »Darf ich fragen, wie lange Sie diese Form des Dialogs schon betreiben?«
    »Nicht ganz ein Jahr«, sagte Hermine. »Warum?«
    »Nur so. Wenn Sie verheiratet wären, stünde ich im Fall der Scheidung beiden als Belastungszeuge zur Verfügung.«
    »Sie da, Sie Mensch«, sagte Matzbach. »Wie heißen Sie eigentlich vorn?«
    »Das wollen Sie bestimmt nicht wissen; nicht mal hinterher. Meine Eltern hatten einen perversen Geschmack, was Vornamen angeht.«
    »Und zwar?«
    »Hieronymus.« Komarek seufzte.
    »Ups«, sagte Hermine.
    »Ach nein, dann doch lieber nicht.«
    »Inwiefern?«
    »Ich war gerade dabei, Sie wegen Ihrer Konversation ins Herz zu schließen. Und da wir wegen Czerny vermutlich mehr miteinander zu tun haben werden, als allen lieb ist, wollte ich den Verzicht auf Titel wie Professor oder Herr vorschlagen – gleitender Übergang zu Vornamen unter Beibehaltung des Siezens. Aber Hieronymus? Nein.«
    »So nennen mich meine Feinde.«
    »Haben Sie trotzdem Freunde?« sagte Päffgen; dabei verzog sie keine Miene.
    »Nicht eben zahlreich; die nennen mich Koma.« Er grinste. »Muß mit meiner Lebhaftigkeit zu tun haben.«
    »Na schön. Koma. Madame, alias Frau Päffgen, heißen wahlweise Hermeline, Heroine, Hermione oder Hermine. Letzteres ist die amtliche Version.«
    Komarek warf Hermine einen fragenden Blick zu. »Was wäre Ihnen am liebsten?«
    »Im Moment wäre mir am liebsten eine Fortsetzung des Märchens. Baltasar, wie kommt der damals noch nicht tote Österreicher in dein bretonisches Labyrinth?«
    Matzbach nahm die erloschene Macanudo in die Hand, zündete sie jedoch nicht an. »Fruchtlose alte Geschichten zu erzählen, das ist wie das Nuckeln an einer erloschenen Zigarre. Aber bitte sehr. Albin Czerny ... komisch, wie viele vergessene Dinge da wieder hochkommen. Er muß irgendwas an großdeutschen Neigungen gehabt haben; jedenfalls hat er Wien verlassen, um in Berlin zu studieren. Da wurde er dann von der Revolutionsromantik befallen; er hatte, als braves Hundchen, auch schon einige dieser häßlichen Fremdwörter apportieren gelernt, die Adornos und Marcuses Unlustknaben für fortschrittlich hielten.« Matzbach runzelte die Stirn, wie in tiefer Konzentration. »Ich weiß nicht mehr, was es war, vielleicht hab ich es nie gewußt, aber etwas muß bei ihm im Sommer achtundsechzig passiert sein. Irgendwas, was ihm die Illusionen ...«
    »Hoffnungen?« sagte Komarek.
    »Meinetwegen. Jedenfalls hat er was auch immer verloren, seine Bücher verkauft, das Studium abgebrochen und sich in den Zug gesetzt, nach Frankreich. Er war in Paris, bei Verwandten oder Bekannten, dann ist er in die Bretagne gekommen. Fragt mich nicht warum; vielleicht wollte er in pseudokeltischer Einöde der gallisch-germanischen Politmystik entrinnen.«
    Er sprach nicht weiter; ein bläulicher Riß im stickigen Sommerhimmel schien ihn zu faszinieren.
    »Und dann?« sagte Hermine. »Hast du ihn mit deiner Privatmystik verseucht, oder was?«
    »Mitnichten. Er wollte weg, hat irgendein Nimmerland gesucht. Am liebsten wäre er für ein paar Monate aus dem Kosmos gefallen.« Er kicherte plötzlich schrill. »Jetzt kommt eine dieser Symmetrien des Schicksals, wie von einem schlechten Autor ausgeheckt. Gleichzeitig mit ihm tauchte ein Mädchen auf, etwa so alt wie er; ich glaube, sie hieß Melanie, und wie weiter? Ah, vergessen; egal. Die war in einer Art Nimmerland gewesen und hatte gerade beschlossen, sich doch wieder in die Politik einzuklinken.«
    »Puh«, sagte Hermine; sie langte nach der Thermoskanne und goß dreimal Kaffee nach. »Wie ich dich und das Schicksal so kenne, haben die beiden dann Adressen und Ziel getauscht, ja? Am Ende sogar in deinem Labyrinth? Wie auch immer das ausgesehen haben mag.«
    »Es kam«, sagte Matzbach geziert, »zu einer Art Wesenstausch, allerdings unter Beibehaltung und Nutzung des jeweiligen Geschlechts. Metaphysisches Gerammel, gewissermaßen; danach ist sie in die fortschrittliche Utopie der Berliner Studenten gereist, um sich in der Aktion zu finden, und er hat die Fahrt ins Nimmerland angetreten, um sich in Meditation zu verlieren. Oder so ähnlich.«
    »Wo war dieses Nimmerland?«
    Matzbach fletschte die Zähne. »Du wirst es nicht glauben. Oder doch? Francos Spanien. Bis auf ein paar Stück Mittelmeerküste war das ja damals von Europa abgekoppelt und lag irgendwo, bloß nicht im zwanzigsten Jahrhundert.«
    Nach kurzem Schweigen

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