Schneesturm und Mandelduft
zerstreut auf eine Weise, die zeigte, dass es eine Standardphrase war, die eher den Alltag beschrieb als einen vorübergehenden Zustand.
»Selber schuld.« Bernard biss herzhaft in die Zimtschnecke.
»Ich verstehe nicht, wie du so viel süßes Zeug essen kannst, ohne dick zu werden«, sagte Miranda und blickte ihn angewidert an.
»Gute Gene«, sagte er und klopfte sich grinsend auf seinen flachen Bauch.
»Ja, da hast du definitiv das große Los gezogen«, erwiderte Miranda finster. »Du hast die guten Gene unserer Eltern abbekommen und ich … ja, das weiß Gott.« Sie lachte.
»Das ist jedenfalls so ziemlich das einzig Gute, was ich von ihnen geerbt habe«, sagte er mit einem schiefen Grinsen.
»Tja«, seufzte Miranda. Nicht zum ersten Mal diskutierten sie dieses Thema und kamen zu dem Schluss, dass sie nicht viel mit ihren Eltern gemeinsam hatten.
»Was hältst du von dieser ganzen Geschichte?« Bernard biss wieder in seine Zimtschnecke.
»Dieser Geschichte? Ja, was halte ich von dieser Geschichte?« Miranda seufzte erneut.
»Denkst du dasselbe wie ich?«, flüsterte Bernard.
»Dass er das Testament vielleicht schon geändert hat?«, flüsterte Miranda zurück. »Ja, herzlichen Dank, der Gedanke ist mir schon gekommen … Er hat es ja gesagt.«
»Kein Grund zur Panik. Das Testament kann man jederzeit anfechten. Wir können sicher Zeugen finden, die aussagen, dass der Alte am Ende völlig gaga war.«
»Mmm«, machte Miranda, sah aber skeptisch aus. Sie hatte unablässig in ihrem Kaffee gerührt, doch jetzt hielt sie inne. »Wer, glaubst du, hat ihn umgebracht?«, flüsterte sie und sah sich im Zimmer um.
»Ich habe keine Ahnung«, erklärte Bernard. »Absolut keine Ahnung«, wiederholte er und stopfte sich das letzte Stückchen Zimtschnecke in den Mund.
Mit dem vielen Kuchen und Gebäck im Bauch war Martin richtig müde geworden. Eigentlich hätte er Rubens Zimmer durchsuchen und nachsehen sollen, ob es dort etwas gab, was die Ermittlungen weiterbringen könnte, aber er entschloss sich, zuerst ein kleines Nickerchen zu machen. Er brauchte eine Pause, um alles zu überdenken. Zu seinem Ärger entschied sich Lisette, ihn zu begleiten, und anstatt eine Weile in Ruhe daliegen zu können, musste er sich ihr Geplapper anhören.
»Ich finde es furchtbar, dass Onkel Gustav so viel Geld aus Großvaters Firma unterschlagen hat und außerdem die Unverfrorenheit besitzt, diese schrecklichen Dinge über meinen Vater zu sagen … Allein schon der Gedanke … dass mein Vater … Nein, der Arme. Na ja, ich konnte Onkel Gustav und Tante Vivi ja noch nie richtig leiden, das muss ich zugeben …«
Innerlich seufzte Martin tief. Was er zu Beginn an Lisette und ihrem sprudelnden Mundwerk charmant gefunden hatte, verlor nun mit Blitzgeschwindigkeit seine Anziehungskraft. Ihm wurde mehr und mehr klar, dass Lisette eine Sommeraffäre war, die genau das hätte bleiben sollen. Dass er sich auch immer die falschen Frauen aussuchte! Manchmal fragte er sich, ob er jemals eine finden würde, mit der er sein Leben verbringen konnte. Derzeit sah es nicht gerade heiter aus. Andererseits war er ja noch nicht steinalt, ihm blieb genug Zeit. Aber zuerst musste er irgendeinen Weg aus dieser Sackgasse finden.
»Ich verstehe nicht, wie Gustav der Vater von Bernard sein kann, der so stilvoll ist«, fuhr Lisette fort. »Vivi sah ganz gut aus, als sie jünger war, das habe ich auf Fotos gesehen, vielleicht kommt es daher. Und Miranda ist sehr schön, findest du nicht, Martin?«
Lisettes Ton verriet Martin, dass ein falsches Wort jetzt eine Bombe zünden konnte und er lieber der Frage ausweichen sollte. Daher gab er einen leisen Schnarchlaut von sich und hoffte, dass Lisette darauf hereinfallen würde. Gott sei Dank. Es schien zu klappen, denn sie wiederholte die Frage nicht. Kurz darauf schlief er tatsächlich.
Martin setzte sich mit einem Ruck auf und sah, dass er über eine Stunde lang geschlafen hatte. Er fluchte und schlug die Decke zurück. Der Platz neben ihm war kalt und leer, Lisette musste also schon vor einer Weile aufgestanden sein. Er fuhr sich zornig mit der Hand durch die zerzausten Haare und trat in den Flur hinaus. Aus dem Augenwinkel nahm er zwei Schatten wahr, die rasch um die Ecke verschwanden. Er eilte ihnen nach, aber als er zur Treppe gelangte, war niemand zu sehen. Er fragte sich, wer so darauf bedacht war, ihm auszuweichen, und warum.
Noch immer leicht verschlafen ging er die Treppe hinab und in die Bibliothek.
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