Schottische Disteln
planst du eigentlich, mit mir im Cottage zu bleiben?«
»Solange du möchtest.«
»Und dann?«
»Dann sehen wir weiter. Andrea, wir haben alle Zeit, die wir uns wünschen. Nichts und niemand wird uns drängen. Und wenn es kalt und ungemütlich wird, bist du hoffentlich bereit, mein Haus in Aberdeen anzusehen.«
»Aber du weißt, dass ich hier arbeiten möchte. Dafür brauche ich Freiheit, die du mir lassen musst.«
»Ich werde dich nicht behindern. Ich will nur in deiner Nähe sein. Das musst du mir erlauben, es bedeutet mir mehr, als ich sagen kann.«
Billy, der Wirt, staunte nicht schlecht, als Ryan mit einer hübschen jungen Frau den Pub betrat. Eigentlich war es in Schottland nicht üblich, Frauen mit in den Pub zu nehmen, aber die Gaststube war noch leer, und bei Ryan wurde ganz einfach eine Ausnahme gemacht. Das war schon immer so, auch wenn er es nicht immer bemerkte. Billy begrüßte die beiden mit breitem Grinsen und Zwinkern im Auge.
»Hallo Ryan, was verschafft mir die Ehre?«
»Ich wollte dir Miss Steinberg vorstellen. Wir beide werden in den nächsten Wochen im Cottage wohnen. Du kannst es gleich allen erzählen, dann ist es wenigstens im Dorf herum.«
»Hältst du mich für eine Klatschtante?«
»Nein, für die Tageszeitung, und das ist auch gut so. Dann kommen erst gar keine falschen Gerüchte in Umlauf.«
»Wie kommt es, dass du schon wieder Ferien hast?«
»Na, du weißt doch selbst, dass die letzten ins Wasser gefallen sind. Wo bleibt der Begrüßungsschluck eigentlich?«
»Bin schon unterwegs«, grinste Billy, verschwand in der Küche und kam gleich darauf mit einem Krug Maltwhisky zurück. »Für euch natürlich das Beste«, erklärte er und öffnete das Gefäß.
»Meine Güte, auf den leeren Magen? Ryan, ich weiß nicht, ob ich das durchstehe«, stöhnte Andrea und probierte vorsichtig.
»So ein Scotch ist ein Lebenselixier«, erklärte Billy und wollte gleich nachfüllen. Aber Andrea zog das Glas weg und sah Ryan Hilfe suchend an.
»Lass gut sein, Billy, wir kommen wieder, und bis dahin hat sich Miss Steinberg an dein Lebenselixier gewöhnt.«
Billy schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich glaube, gegen die Lady kommst du nicht an. Die sieht mir ganz so aus, als wüsste sie, was sie will. Stimmt‘s Miss?«
Andrea lachte. »Irgendwie muss man sich doch durchsetzen, Mister, nicht wahr?«
»Nun lassen Sie aber mal den Mister weg, ich bin Billy, und das genügt.«
»Und ich bin Andrea, das genügt auch.«
»Aber darauf müssen wir wirklich noch ein Schlückchen nehmen.«
»Nun gut. Cheers, Billy, auf dein Wohl.«
Ryan beobachtete die beiden mit Vergnügen. Es war wunderbar, wie Andrea mit dem sturen Billy zurechtkam, der so rabiat sein konnte und so schwierig, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte. Aber er hatte sich nicht in Andrea getäuscht, vom ersten Augenblick an hatte er gewusst, dass sie das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Als sie ihm damals auf dem Trödelmarkt geholfen hatte, im strömenden Regen die Plane zu befestigen, da hatte er gewusst: Die Frau ist in Ordnung, die redet nicht lange, die packt mit an, und das mit so viel Charme, dass einem warm ums Herz wird. Na ja, ihm war nicht nur warm, ihm war heiß ums Herz geworden, und jetzt wollte er weiter, damit er sie möglichst schnell wieder für sich allein hatte. Im Dorf war sie bereits integriert, dafür würde Billy sorgen, das stand fest.
»Andrea, wir müssen los. Sag dem Charmeur bye-bye, sonst sehe ich schwarz für die Flasche und für deinen Magen.«
»Du hast Recht. Bis bald, Billy, ich komme wieder.«
Sie hatten die Runde im Dorf schnell hinter sich, und Andrea begriff, wie viele Freunde Ryan hier hatte und wie wohl er sich in dieser Umgebung fühlte. Das war seine Welt – und doch sah sie im Geiste auch die Scheinwerfer und Schneidbrenner seiner Werften im Grau einer frühen Dämmerung aufleuchten, sah die devoten Gesten anderer Menschen, wenn sie ihn erkannten, und wusste genau, dass er ein sehr herrischer Mensch sein konnte, dort in seiner anderen Welt.
XXV
Als Ryan und Andrea am späten Nachmittag aus Tradespark zurückkamen, saß Linda auf einer Bank vor dem Cottage und lachte ihnen entgegen. Sie bedankte sich überschwänglich bei Ryan und zeigte voller Stolz die neue Zahnprothese. Ryan freute sich mit ihr, dass sie wieder lachen und verständlich sprechen konnte.
Sie hatte auf dem Gepäckhalter ihres Rades einen Korb voller Pasteten, Fleischterrinen und selbst gebackener Brote mitgebracht,
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