Schreckensgalerie (Patricia Vanhelsing, die Jägerin der Nacht) (German Edition)
förmlich unter dieser Schuld, hörte auf, öffentlich aufzutreten und Konzerte zu geben...
Die spezielle Begabung, von der sie sprachen, war bei meinem Bruder und mir seit frühester Kindheit wirksam. Sie verband uns auf besondere Weise miteinander, denn uns war sehr früh klar, daß wir mehr oder minder einzigartig waren. Mein Bruder vertiefte sich in die Malerei und...", sie zögerte etwas, bevor sie weitersprach, "...in okkulte Studien. Er wollte mehr erfahren über die Kräfte, die in ihm schlummerten, wollte sie zur vollen Entfaltung bringen. Im Rahmen dieser Studien stieß er auf die Schriften des Namenlosen Abtes und fand dort Hinweise auf ein geheimnisvolles Buch..."
"Das LIBRUM HEXAVIRATUM", flüsterte ich.
Rovenna hob ruckartig den Kopf.
"Auch das wissen Sie?" fragte sie erstaunt.
"Ich habe nur von diesem Buch gehört, das ist alles", erklärte ich. "Es ist in einer unbekannten Sprache in bisher nicht entzifferten Schriftzeichen verfaßt. Aber wer es liest, versteht es unmittelbar. Die Zeichen wirken direkt auf das Bewußtsein..."
Rovennas Blick war auf einmal sehr klar, fast durchdringend. So hatte sie mich bislang noch nie angesehen.
"Sie sprechen so, als hätten Sie selbst schon einmal in das LIBRUM hineingesehen!" stellte sie fest.
Ich erschrak.
Rovenna wußte wohl kaum, wie nahe sie der Wahrheit damit gekommen war, denn genau das war im Verlauf meiner Erlebnisse um ein Geisterschiff aus der spanischen Armada jüngst geschehen...
"Meinem Bruder gelang es schließlich, ein Exemplar dieses rätselhaften Werkes aufzutreiben..."
"Wo fand er es?"
"Er brachte es von einer Reise nach Irland mit, wo es jahrhundertelang in einer alten Klosterbibliothek vor sich hinstaubte. Und durch dieses Buch glaubte er einen Weg gefunden zu haben, Morris' Seele zu finden und aus dem Jenseits zurückzuholen... Er stellte eine Art Verbindung zu einer Welt her, die vielleicht so etwas wie das Totenreich ist..."
"Aber er fand nur diese dämonenartigen Kreaturen."
"Ja. Und es scheint so, als müßten diese Geschöpfe töten, um mit Hilfe der Lebensenergie ihrer Opfer zurück in ihre Höllenwelt zu gelangen. Allans Kräfte zwangen sie gegen ihren Willen in unsere Welt."
"Warum hört er nicht auf damit?"
"Er glaubte, alles unter Kontrolle halten zu können, Miss Vanhelsing. Aber ich glaube mehr und mehr, daß das ein Irrtum war. Deshalb habe ich auch die Gemälde aus der Galerie zurückrufen lassen." Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
"Allan kann nicht mehr damit aufhören, die Dämonen zu rufen... Die Tatsache, daß er in das LIBRUM geschaut hat, hat ihn verändert."
"Wir müssen etwas tun", erklärte ich entschlossen. "Die Dämonen auf den Gemälden werden nach und nach aus ihrer Erstarrung erwachen...
Rovenna nickte. "Ich weiß... aber was soll ich tun? Allan läßt mich nicht an das LIBRUM HEXAVIRATUM. Er will nicht, daß ich einen Blick in dieses Buch werfe - aber wenn es eine Möglichkeit gibt, das drohende Verhängnis zu stoppen, dann nur mit dem Wissen, das in diesen rätselhaften Zeichen verborgen ist." Sie stellte das Foto zurück auf den Flügel.
"Nichts hätte ich mir sehnlicher gewünscht, als Morris zu finden und meine Schuld ausgleichen zu können. Aber der Preis ist zu hoch..."
In diesem Moment hallte ein schauerlicher Schrei zwischen den hohen Wänden der Villa wider.
Ein Schrei, so heiser und voller Verzweiflung, daß er einem kalte Schauder über den Rücken jagte.
"Allan!" stieß Rovenna hervor.
"Wo ist er?" fragte ich.
"Im Atelier!" flüsterte sie. "Tag und Nacht ist er dort -
bis auf kurze Phasen völliger Erschöpfung!"
*
Rovenna führte uns in das von Kerzenlicht erfüllte Atelier.
Unzählige von - zumeist noch sehr frischen - Kerzen waren im Raum verteilt. Ihr unruhiges Flackern ließ die Dämonengestalten auf den überall herumstehenden Gemälden noch unheimlicher und fast lebendig erscheinen.
Die Leinwand, an der der Meister gerade arbeitete, war nur von einer schlammfarbenen Grundierung überzogen...
Allan Brennan lag auf dem Boden und rang mit einer schlangenhaften Kreatur, deren langgezogener Leib sich um seinen Körper gelegt hatte. Eine gespaltene schwarze Zunge züngelte aus einem lippenlosen Maul heraus. Kalte Facettenaugen blickten den Maler mitleidlos an. Das Schlangenwesen hatte mehrere Dutzend winziger Arme, an deren Enden sich kleine Krallenhände befanden.
Mit diesen klammerte sich der Dämon an Allan Brennan fest.
Der Künstler schrie, versuchte den
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