Schuhwechsel
(wieder sehr laut und sehr sächsisch): „Petra. Der Fußbogen muss so massiert werden, denn das hier ist der Fußbogen. Das sind die Knochen, die hier einen Bogen bilden und deshalb heißt das Fußbogen. Und ein Fußbogen muss genau so massiert werden, wie ich das tue. Verstehst du das?“
Und er massiert weiter. Petra verzieht das Gesicht. Es sieht nicht entspannt aus.
„Aber wenn es mir doch nicht gut tut“, entgegnet sie ihm der Verzweiflung nahe.
Es interessiert ihn einfach nicht. Er massiert so lange weiter, bis sie ihm die Füße entzieht und wieder sehr freundlich sagt: „Danke Wolfgang, das ist jetzt genug massiert.“
Sie wendet sich wieder Elsa zu und beachtet ihn nicht weiter.
Lieber Gott, heute forderst du mich aber gewaltig. Die Obererchristin fehlt noch, dann sind wir alle beieinander. Mein Blick geht hin und wieder ängstlich zum Tor. Ich hoffe die kommt heute nicht.
Aber vorerst reicht Wolfgang. Er ist ein grauenhafter Rechthaber und Besserwisser, den es kein Stück interessiert, wie es Petra geht und wie sie sich fühlt.
Der Nachteil in diesem familiären Gästehaus ist der, dass man alles gemeinsam zelebriert und es erst zum Abendessen Wein gibt. Also gut, dann warten wir eben aufs Essen.
In der Zwischenzeit sind zwei spanische Pilger angekommen, die ab Zaragossa unterwegs sind. Der eine Mann ist fast 70 und der andere fast 80! Er hat ein Ladegerät dabei, das an mein Handy passt und leiht es mir.
Beim Essen sitze ich zwischen Petra und Elsa auf einer Bank. Es gibt irgendeinen Eintopfmischmasch mit Gemüse und Wurst, der aber sehr lecker schmeckt. Allerdings ist es nicht schwer, einen Pilger satt zu bekommen. Man ist einfach jeden Abend sehr hungrig und dann schmeckt alles. Egal wie es aussieht.
Da Petra neben mir sitzt und ich sie vermutlich nicht wieder treffen werde, kann ich ihr die Frage stellen, die mir auf den Lippen brennt:
„Sag mal Petra, wie hältst du das mit Wolfgang nur aus?“ Sie antwortet: „Überhaupt nicht.“
„Ach“, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet, „aber wieso pilgert ihr dann zusammen?“
„Wir sind nicht verheiratet. Wir haben seit zwei Jahren eine Fernbeziehung und nun wollte er zu mir nach Rostock ziehen. Bevor es aber soweit kommt, wollte ich mit ihm unbedingt auf den Jakobsweg, um zu sehen, wie es mit uns funktioniert, wenn wir so nah beieinander sind. Wir sind mit knapp über sechzig nicht mehr die Jüngsten und da will ich schon genau wissen, worauf ich mich einlasse. Und ich stelle fest, es funktioniert überhaupt nicht. Er tötet mir den letzen Nerv.“
„Hast du das vorher nie bemerkt?“ Freut mich, dass sie so ehrlich ist.
„Nein, wir sahen uns ja nur an den Wochenenden und da war es immer schön. Wir sind beide noch mit anderen Partnern verheiratet und haben beide Familie. Aber ich sehe ganz deutlich, dass es mit Wolfgang keine Zukunft gibt.“
„Kannst du nicht alleine weitergehen?“
„Oh doch, das würde ich wirklich sehr gerne, aber er lässt mich einfach nicht los. Ich habe ihm schon mehrmals deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht mehr weiter mit ihm gehen möchte, aber er ignoriert das total. Er hätte die Verantwortung für mich übernommen und nun begleitet er mich nach Santiago, komme was da wolle.“
„Oh je“, sage ich und denke an die Nacht, in der mich mal einer ermorden wollte. Das war in Südspanien, während meinen wilden Zeiten. Ex-Knacki Micha, der von seinen 30 Lebensjahren 10 im Gefängnis saß, wegen Einbruch und Diebstahl, wie er mir sagte. Micha bekam eines Nachts, nach viel zu viel Schnaps einen gnadenlosen Eifersuchtsanfall, weil er mich auf dem Campingplatz suchte und nicht fand.
Dabei ging ich ihn gar nichts an. Ich war nur höflich zu ihm. Er war ebenfalls auf diesem Campingplatz gestrandet, vermutlich auf der Flucht vor dem Gesetz. Wir standen in normalem Kontakt, wie alle jungen Menschen, die dort hausten und warteten, dass etwas Aufregendes passiert.
Das war in Tarifa, am südlichen Ende von Spanien, wo es nicht mehr südlicher geht und man sich heimatlos, wie man nun mal ist, überlegt, in welche Richtung man jetzt fahren könnte.
Irgendwie versprach er sich wohl mehr und mit dem ganzen Schnaps in der Birne wurde er unberechenbar. Er schlug mich, bedrohte mich mit dem Messer und wollte mich aufschlitzen.
Ich redete wie ein Wasserfall und brachte sehr einfühlsam Verständnis für sein verpfuschtes Leben und seine Situation auf. Diese Gespräche schienen zu fruchten, denn nach
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