Schusslinie
plötzlich die Medien Wind davon kriegen und ein Riesenspektakel losgeht.«
Der Angesprochene nickte wortlos und notierte
diesen Vorschlag.
»Dann lassen Sie uns zur Sache kommen«, wurde
er wieder offiziell, »es geht um die allgemeine Struktur. Unser Ziel wird es sein,
innerhalb der nächsten drei Monate, also während der Sommerpause, so viel wie möglich
Vertraute zu gewinnen. Das kann nur in Einzelgesprächen erfolgen, diskret und vertraulich.
Es sollte möglich sein, nach Art des Schneeball-Systems vorzugehen. Jeder kontaktet
weitere Personen seines Vertrauens.« Pfisterer räusperte sich und nahm einen Schluck.
Dabei sah er auf die vernebelten Rebenhänge hinaus. »Wenn ich von ›Kontakten‹ rede,
meine ich Gespräche unter vier Augen. Also keine schriftlichen Vorgänge, keine Mails
und keine Telefonate.«
Die Zuhörer nickten.
»Denken Sie an Ihre persönlichen Beziehungen«,
fuhr Pfisterer fort, »an Geschäftspartner, an Ihre Freunde im Golf- oder Segelclub.«
Er blickte in die Runde. Zumindest von Rollinger, der links von ihm saß, wusste
er, dass er irgendwo auf der Alb ein begeisterter Golfspieler war.
»Vielleicht gehören Sie den Rotariern oder
den Lions an – oder Sie sind Mitglied im Klub Kochender Männer, ist ja, wie ich
weiß, in unseren Kreisen inzwischen auch sehr beliebt. Überall können Sie bei einem
Gläschen gutem Württemberger Rotwein dezent unser Anliegen zur Sprache bringen.
Eine Empfehlung sei hier gegeben: Sollten Sie spüren, dass Ihr Gesprächspartner
Ihnen mit Skepsis begegnet, dann tun Sie das Angesprochene als kleines Späßchen
ab. Niemals, ich sage: Niemals sollten Sie penetrant sein. Das könnte Argwohn wecken.«
Zwei der Männer machten sich Notizen. Von den
weiter entfernt stehenden Nebentischen drang Gelächter herüber.
»Natürlich ist Vorsicht geboten, allergrößte
Vorsicht«, erklärte Pfisterer weiter, »gefragt ist Ihre Menschenkenntnis, Ihr Geschick
im Umgang mit den Menschen. Vielleicht ist es dienlich, erste Kontakte bei der Vergabe
eines Auftrags zu knüpfen. Aber denken Sie daran: Ein Irrtum kann fatale Folgen
haben. Um nicht zu sagen verheerende Folgen. Sollte auch nur die kleinste Kleinigkeit
nach außen dringen, wird es einen Skandal ungeahnten Ausmaßes geben. Dessen müssen
wir uns bewusst sein.«
Eine weitere kurze Pause nutzte der Mann, der
an dem kleinen quadratischen Tisch rechts von Pfisterer Platz genommen hatte, um
das Gesagte mit ernstem Gesicht zu bekräftigen: »Alles, was nach außen dringt, kann
tödlich sein, meine Herren.«
Der Vierte in der Runde meinte süffisant: »Geld
und Macht – und dann noch Politik. Fürwahr ein explosives Gemisch.«
»Das wird einen Aufschrei geben«, stellte Ute Siller fest. Die attraktive
Mittvierzigerin im dunkelblauen Hosenanzug hatte sich in dem schwarzen Ledersessel
zurückgelehnt. Als Leiterin der Finanzabteilung des Unternehmens war sie von ihrem
Chef bereits frühzeitig in das Vorhaben eingeweiht worden. Nun saß sie ihm und dem
Leiter der Abteilung Produktion gegenüber. Sie hatten sich im kleinen Konferenzraum
getroffen, dessen schneeweiße Wände von großformatigen Fotografien dominiert wurden,
die Großaufnahmen von Metallpräzisionsteilen zeigten.
»Wir müssen jetzt an die Öffentlichkeit«, stellte
Matthias Nullenbruch fest, angegrauter Geschäftsführer des Metallteile-Unternehmens,
das seit Jahrzehnten eines der größten Zulieferer für die Automobilbranche war.
Wie viele Betriebe im Großraum Stuttgart, so war auch ›Nubru‹ letztlich auf die
Aufträge vom ›Daimler‹ angewiesen, wie man hier zu sagen pflegte. Allerdings hatte
man sich im Laufe der Zeit auch ein zweites Standbein geschaffen und Kontakte zu
anderen Fahrzeugherstellern geknüpft.
Wolfgang Meckenbach, Produktionsleiter und
von überaus sportlicher Erscheinung, kniff die flinken Augen zusammen und löste
seine Krawatte: »Ich seh es wie die Kollegin«, gab er zu bedenken, »es wird einen
Aufschrei geben. Die Belegschaft wird mit Warnstreiks reagieren – und die Gewerkschaft
veranstaltet einen Riesenwirbel.«
Nullenbruch, für seine einsamen Entschlüsse
bekannt und gefürchtet, verzog keine Miene. »Wir werden uns von nichts und niemandem
beirren lassen. Jetzt sind die Zeiten des Wandels gekommen – jetzt müssen wir Zeichen
setzen. Schauen Sie doch nach Nordrhein-Westfalen! Auch für uns ist die Zeit reif,
überreif. Wir berufen für morgen, nach der Mittagspause, eine Betriebsversammlung
ein – und dabei
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