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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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jetzt noch nicht der rechte Moment, aber er wird kommen. Und dann: bewegt es sich weiter, eine neue Umdrehung, schnellere Gangart, er würde seine Motorik bis dahin hinreichend ausgereift haben. Er würde sein eigener Kran sein, eine Hebebühne. Hoffentlich!
     
    Aber genug davon, es nahm alles seinen Verlauf, es spitzte sich zu, es bereitete sich vor.
    Tatsache ist, sie waren jetzt in der Konstellation angekommen, die für das weitere Weben noch wichtig sein würde, sie waren auf dem Land und dort würde alles seinen Gang nehmen, sie richteten das Haus für die große Verwandtschaft und auch sie würde noch wichtig sein. Hier würden sie, am Ende des Jahres, wenn alles zur Neige geht, das Geflecht auflösen und die Fäden neu sortieren.
    Man könnte noch weiter mutmaßen und sinnieren, der Regen und der markige Herbst, das zärtliche Licht und der Gleichmut der Tage verleiten einen dazu, dieses Sitzen an großen Fenstern und der Blick auf eine Wiese, an deren Rändern Rehe grasen, aber lassen wir das.

94. David geht auf dem Zahnfleisch

    Zurück in der Stadt nahm alles seinen Lauf, zumindest die Zeit.
    Der Herbst ging zur Neige, der Winter brach an.
    Es fiel Schnee, dann regnete es wieder, und wieder fiel der Schnee. Die Stadt wurde düster, tauchte ab in dieses ewig graue und diffuse Licht, das sich bis in den April hinein nicht mehr merklich ändern würde und rundum für bodenlose Schwermut, totale Hoffnungslosigkeit und kapriziöse Wehleidigkeit sorgte.
    Speziell Stanjic wurde trübselig und jammerig, er ging allen auf den Senkel.
    Er ging praktisch nicht mehr aus dem Haus. Nicht, dass er seine Wohnung nicht mehr verließ, er schleppte sich zu Glaser, zu Sydow und verließ dann die Wohnung nicht mehr. Bei Glaser saß er am Ofen und sah aus wie eine nasse Katze, Sydow war er im Weg, Sydow übte Kekse und musste sich konzentrieren.
    Stanjic schaute ihm beim Teigausrollern zu, beim Ausstechen und Verzieren.
    Meine Mutter hat das immer ganz anders gemacht, sagte er.
    Deine Mutter hat Kekse gebacken? Ich denke du hast einen schwierigen familiären Hintergrund.
    Stanjic überlegte. Genau genommen konnte er sich gar nicht erinnern. Nicht ans Kekseausstechen, aber auch nicht daran, keine Kekse ausgestochen zu haben. Seine Kindheit war bei ihm eine Lücke, eine öde Leerstelle, dazwischen palmenlose Inseln, ein Aufblitzen von unverknüpften Bildern, einzelne Erinnerungen, naturgemäß schlechte.
    Im Grunde suchte er einfach Streit. Er sagte: Meine Mutter hat das immer ganz anders gemacht, oder: Na, ob das was wird, oder: Die sehen aber komisch aus, muss das so sein?
    Er sagte das, weil er sich gerne abreagiert hätte.
    Er war unglücklich. Er war unglücklich verliebt, aber er war auch unglücklich. Er wusste, er hatte sowohl an dem einen wie auch an dem anderen Zustand selbst Schuld, er erinnerte das Gespräch mit Frau von Sydow und Onkel Dagobert, über Männer und Einkaufswagen, er erinnerte die Tage auf dem Land, er erinnerte Katharina Fitzwilliam auf dem Diwan und in der Küchentür und im Auto neben sich und er erinnerte sich selbst, seine Reglosigkeit, seine Angst.
    Er hätte sich gerne abreagiert, weil: Er spürte die Wut. Das war ihm eher unheimlich. Er ahnte, er hatte sie womöglich all die Jahre zu sorgsam umrundet, er wusste nicht, was damit anfangen.
    Sydow anpöbeln.
    Man könnte also sagen, es war ein Fortschritt, aber Sydow war in so Sachen plötzlich stinkkonservativ, pöbel hier nicht rum, sagte er, während er liebevoll kleine Kekskrönchen mit Zuckerguss verzierte.
    Ich pöble nicht, sagte Stanjic wütend.
    Doch, tust du, sagte Sydow, er richtete sich auf, begutachtete sein Werk und setzte sodann mit der Pinzette auf jede Zacke eine silberne Zuckerperle.
    Na, sagte Stanjic, ob das was wird.
    Klar wird das was, Perlen werden das.
    Stanjic fand das affig, ich finde das affig, sagte er.
    Ja, sagte Sydow, weil du immer rumpöbeln musst. Geh doch ein bisschen nach draußen.
    Draußen ist es nass und kalt, sagte Stanjic.
    Zieh dir was an und nimm einen Schirm.
    Ich will keinen Schirm nehmen.
    Dann gehst du eben ohne Schirm.
    Ich will auch nicht ohne Schirm gehen, ich will überhaupt nicht nach draußen. Nie mehr, bis der Frühling wieder flattern lässt sein blaues Band.
    Aber es würde dir guttun.
    Mir nicht, aber dir, du willst mich loswerden.
    Stimmt, sagte Sydow, er stopfte seine Zuckerspritze mit rotem Zuckerguss und betupfte die Krönchen mit kleinen Rubinen.
    Siehst du, darum gehe ich extra

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