Schwarze Schmetterlinge
Karten ausgelegt hatte, holte sie tief Luft und machte eine einladende Bewegung mit den Händen. Bitteschön, dies ist Ihr Leben.
»Da gibt es einen Mann, an den Sie denken. Sie fragen sich, was er für Sie empfindet. Ist das so?«
Pyret antwortete nicht, sondern schloss die Augen. Sie hatte gesehen, was sie sehen wollte. Die Karte mit den sieben Schwertern im Rücken, die Last des Vergangenen, der Tod und die betrügerische Sichel des Mondes.
»Das sieht düster aus. Sie haben doch wohl nicht vor, jemanden umzubringen, oder?« Bella lachte und entblößte dabei eine Lücke zwischen den Vorderzähnen. »Ich glaube, ich habe noch nie so finstere Karten gesehen. Sie sind umgeben von negativen Energien. Es ist an der Zeit, dass Sie das mal anpacken. Sie können sich nicht damit abfinden, immer nur Opfer zu sein. Sehen Sie diese Karte hier? Sie heißt das Ass der Stäbe und erfordert Handeln. Stäbe stehen für Aktivität und Kreativität, müssen Sie wissen.«
»Was bedeutet das? Ich habe das Gefühl, als würde die Karte mit dem Mann auf mich zukommen. Die da.« Pyret spürte, wie sich ihr das Herz in der Brust zusammenkrampfte. »Ich sehe diese Karte deutlicher als die anderen.«
»Der König der Schwerter. Hat er Sie verletzt? Männer sind ein betrügerisches Geschlecht, ich weiß, wovon ich spreche. Behandelt er Sie, als ob nichts geschehen wäre? Ignoriert er Sie einfach? Diese verdammten Männer! Sie nutzen uns aus und betrügen uns, sie missbrauchen uns, und dann gehen sie, als wäre nichts gewesen. Ich denke, Sie sollten dafür sorgen, dass die Sache ein Ende hat. Jagen Sie das Messer in ihn, und drehen Sie es herum, da, wo er es am meisten spürt, sodass er es nie vergisst.«
17
Angesichts des Stroms von Konferenzteilnehmern, die an diesem Dienstagabend im Conventum von Örebro eintrafen, überkam Pyret ein nagendes Unbehagen. Plötzlich wurde sie der Gesichtszüge gewahr, die die unterbewussten Ströme in ihr zum Leben erweckt hatten. Es war ihr früher schon passiert, dass die Erinnerung ihr einen Streich gespielt hatte. Dass sie, die erwachsene Frau, die Schicht um Schicht aus Vergessen und Verdrängen auf die Vergangenheit gelegt hatte, plötzlich in das schwarze Loch zurückgesogen wurde, das zum Chaos der Kindheit geführt hatte.
Er sah sie an, ohne sie zu sehen. Zwischen ihnen standen ein Wagen mit Putzmitteln und drei Jahrzehnte der Veränderung. Zielgerichtet ging er an der Rezeption vorbei und weiter in den Konferenzraum. Vom Lager hinter dem Konferenzraum aus konnte Pyret durch ein schmales Fenster beobachten, wie er seine Papiere auf dem Tisch zurechtlegte und den Overheadprojektor einschaltete.
Von Gefühlen überwältigt, drückte sie das Gesicht an die Scheibe. Es war auf die Entfernung schwer zu erkennen, ob er es wirklich war. Ein hoher klingender Ton schnitt ihr durch den Kopf und verschloss mit einem Mal die Ohren. Pyret starrte ihn an, suchte Gesichtszüge, die dem Mann von den Zeitungsausschnitten ähnelten. Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn und dann den Hals hinunter. Dieselbe Geste, dieselbe Bewegung, derselbe Gang wie damals. Über dreißig Jahre körperlichen Verfalls boten eine ausgezeichnete Verkleidung. Ein ergrauter alter Mann mit Glatze, Brille und einem Bierbauch, aber die Bewegungen waren dieselben. Die Luft schien zu schwer zum Atmen. Es pochte in den Fingern und am Mund, der plötzlich ausgetrocknet war und wie versteinert.
Ein Mann in dunklem Anzug, weißem Hemd und Schlips machte den alten Mann auf sich aufmerksam. Sie hörte sie miteinander reden. Der Vortrag sollte in der Arena des Conventum gehalten werden, die bereits voll besetzt war. Fünfzehnhundert Menschen warteten. Nach dem Vortrag würde es eine halbe Stunde Pause geben, und dann würde es im unteren Stockwerk mit dem Bankett weitergehen.
Pyret schnappte sich die Teilnehmerliste von den hinteren Bankreihen. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen zu einem Durcheinander von kleinen Pünktchen, bis sie seinen Namen und den Text über ihn richtig lesen konnte. Professor Emeritus Frank Leander, Vortrag von 16.00 bis 17.30 Uhr. »Fetales Alkoholsyndrom« war das Thema des Vortrags. Und dann, während des Banketts nach dem Vortrag, sollte ihm der internationale Preis verliehen werden, für den ihn sein Lebenswerk und die Forschung qualifiziert hatten.
Als sie seine trockene, knarrende Stimme aus dem Lautsprecher hörte, war sie ganz sicher, dass er es war. Das Publikum folgte seinen Ausführungen und
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