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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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angeworfen und heulen auf. Ich liebe diesen Augenblick, in dem die Kraft der Maschine bereits zu spüren ist, den Moment, wenn die Schubkraft meinen Rücken in den Sitz drückt und das Flugzeug immer schneller wird, die erwartungsvollen Sekunden vor dem Abheben und dann dieses Gefühl, die Erde plötzlich unter sich zu sehen, zunächst noch schräg und in plötzlicher Stille ohne den Asphalt unter den Rädern. Das leichte Schwanken und die Neigung, wenn der Pilot eine Kurve fliegt. Gleich ist es so weit. Gleich.
    Corvin räuspert sich.
    »Goodbye, England«, sagt er. »Auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen.«
    Wir heben ab; zuerst blicke ich nach draußen, doch als ich etwas nach hinten weiche, damit Corvin auch aus dem Fenster sehen kann, bemerke ich, dass sich seine Finger beim Start etwas verkrampft um die Armlehnen krallen, er scheint Flugangst zu haben. Sein Gesicht sieht jetzt selbst unter der leichten Sonnenbräune blass aus, auf seiner Stirn haben sich kleine Schweißperlen gebildet. Ich muss ihn ablenken, weiter mit ihm reden, vielleicht vergisst er dann seine Furcht.
    »Reist du öfter nach England?«, frage ich also. »Oder bist du nur wegen Black Hour hergekommen?«
    Corvin schließt die Augen und atmet tief durch, während sich das Flugzeug in einer leichten Linkskurve neigt. »Zwei Wochen war ich hier«, erzählt er. »Eine davon bin ich mit einem Mietwagen ein Stück die Südküste entlang gefahren, die zweite war ich in London, um an einem Musikworkshop teilzunehmen. England hat tolle unbekannte Bands; Light of The Roxy , Faith Failure, Steely Toes und so . «
    »Steely Toes kenn ich auch«, bemerke ich erstaunt, denn diese Band ist bei uns noch unbekannter als Black Hour .
    »Ehrlich?«, fragt er und sieht mich mit geweiteten Augen an, es funktioniert, sein Gesicht beginnt sich ein klein wenig zu entspannen. Zum Glück verläuft der Start ruhig, der Flieger gleitet sanft aufwärts, einige Passagiere schnallen sich schon ab, obwohl das Signal dazu noch nicht aufleuchtet. »Dabei sind sie außerhalb Englands kaum bekannt«, fährt Corvin fort. »Man muss schon ein wenig stöbern, um sie ausfindig zu machen, selbst im Internet. Aber der Leadgitarrist hat den Workshop geleitet, es war phantastisch, mit ihm zu arbeiten.«
    »Vielleicht sollte ich doch mal anfangen, Gitarre zu lernen. Dann komme ich auch in den Genuss.«
    »Mach das! Du hast bestimmt Talent. Noch toller sollen übrigens die unbekannten Bands in Los Angeles sein«, berichtet Corvin. »Ein Freund hat mir erzählt, er habe dort sagenhafte reine Frauencombos erlebt. Fast zu jeder berühmten Band gibt es Coverbands, und eben auch welche, in denen nur Frauen mitspielen. Die reißen unglaubliche Schlagzeug- und Gitarrensoli runter, da können wir uns hier nur verstecken.«
    »L. A. muss sowieso grandios sein. Warst du jemals da?«
    Corvin schüttelt den Kopf. »Das ist bisher noch ein Traum. Aber eines Tages werde ich ihn verwirklichen. Irgendwann, wenn alles drum herum stimmt.«
    Was er damit wohl meint, überlege ich, will aber nicht weiterbohren. Nach Los Angeles – das wäre natürlich am Schönsten mit jemandem, der einem richtig nahe ist. Denke ich jedenfalls und frage mich zum ersten Mal, ob es in seinem Leben nicht jemanden gibt. Eine Frau. Sogar verheiratet könnte er schon sein, doch an seinen schönen Händen steckt kein Ring, der darauf hindeutet. Ich ertappe mich dabei, dass ich innerlich aufatme.
    »Die Flugangst nimmst du in Kauf?«, frage ich weiter. »Über den großen Teich dauert es ja doch ein paar Stunden mehr.«
    »Du hast mich erwischt«, lacht er. Dieses breite, fröhliche, ansteckende Lachen, diese offene, heitere Zuversicht und in nächsten Moment dieser tiefe, ruhige Blick, beides liegt bei ihm so nah beieinander. Keine distanzierte Höflichkeit, kein arrogantes Getue, nur weil er ein paar Jahre älter ist als ich. Corvin ist wie ein Freund, ich fühle mich einfach wohl an seiner Seite, obwohl wir uns gar nicht kennen.
    »Die Flugangst überwinde ich schon«, fährt Corvin fort, jetzt wieder ernsthafter. »Das Leben ist zu kostbar, um nur das zu tun, worin man sich vollkommen sicher fühlt. Man muss auch mal was wagen.«
    »Einfach mal ausbrechen«, füge ich hinzu, »und was ganz Verrücktes tun.«
    Er lächelt verschmitzt. »Zum Beispiel?«
    Mir fällt der duftende Sommerregen ein, der mich nach Hause begleitete, nachdem ich mit Manuel Schluss gemacht hatte. Das unbändige Freiheitsgefühl darin. In dem Moment

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