Schwarzes Verlies (German Edition)
missachtet, und dafür wirst du bestraft werden.“
„Ich verstehe“, antwortete Atlas ohne Zögern. Es war die Wahrheit. Er verstand, dass der Götterkönig ein Exempel an ihm statuieren musste. Anderenfalls würden andere Cronus für schwach halten. Sie würden ihm den Gehorsam verweigern, wie Atlas es getan hatte.
„Ich glaube, das tust du tatsächlich.“ Ein Teil von Cronus’ Wut verpuffte. „Erst heute Morgen habe ich ein Bild von dir gesehen. Gemalt von meinem Allsehenden Auge. Darin hat sie mir exakt gezeigt, wie ich dich bestrafen werde.“ Der König lächelte bösartig und wandte sich an das geisterhafte Mädchen, das immer noch an seiner Seite weilte. „Du weißt, was du zu tun hast, süße Sienna.“
Sienna trat vor, und er sah ein Messer in ihrer Hand. Vor Atlas blieb sie stehen und sank auf die Knie, sodass sie auf Augenhöhe mit ihm war. Das war es also, dachte er. Das Ende. Als Unsterblicher hatte er niemals geglaubt, er könnte an diesen Punkt gelangen. Und doch. Das Einzige, was er bereute, war, dass er nicht mehr Zeit mit Nike gehabt hatte. Dass er nicht die Chance gehabt hatte, sich bei ihr für seine harten Worte bei ihrem letzten Zusammentreffen zu entschuldigen. Und dass er ihr niemals seine Liebe würde gestehen können.
Ohne die geringste Emotion auf dem Gesicht stieß das Mädchen ihm die Messerspitze ins Handgelenk und schnitt seinen Sensor heraus, statt ihm den Kopf abzuhacken. In jenem Moment begriff Atlas, dass Cronus ihn einsperren wollte, statt ihn zu töten. Gut. Mehr Zeit, um über Nike nachzudenken und das, was hätte sein können.
Doch dann ließ Sienna die Klinge zu seiner Brust wandern und schnitt in sein Fleisch. Es schmerzte, doch das war es nicht, weshalb er sich aufbäumte und sich gegen Sienna zu wehren versuchte. Nein, es war die Tatsache, dass sie begann, Nikes Namen wegzuschneiden. Er brüllte laut und lange, kämpfte mit seinem ganzen Wesen, aus tiefster Seele. Wachen wurden herbeigerufen und unnachgiebige Hände griffen nach ihm, drückten ihn hinab und hielten ihn still. Er kämpfte weiter, doch letzten Endes schafften sie es, alle vier Buchstaben zu entfernen.
Als sie von ihm abließen und fortgingen, blickte er mit brennenden, tränenden Augen an sich hinab. Blut strömte an seiner Brust hinab und vier offene Wunden starrten ihm entgegen, die Muskeln zerfetzt, die Haut vollständig verschwunden. Einst mochte er dieses Tattoo gehasst haben, doch zuletzt hatte er es geliebt wie die Frau, die es ihm eintätowiert hatte. Und noch mehr als das: Es war der letzte verbliebene Beweis ihrer Anwesenheit gewesen.
Er ballte die Hände zu Fäusten und streckte den Rücken. Blut und Schweiß mischten sich und ließen die Wunden noch stärker brennen. Wieder brach ein Schrei aus seiner Kehle hervor, und er brüllte all seinen Schmerz der hohen Kuppeldecke entgegen. Er hörte nicht auf, bis seine Stimmbänder sich anfühlten, als hingen sie in Fetzen.
„Bist du bald fertig?“, fragte ihn Cronus.
Atlas’ Blick fiel auf die Empore und er verengte die Augen. „Dafür werde ich dich vernichten“, schwor er mit brechender Stimme. „Eines Tages wirst du von meiner Hand sterben.“
„Unwahrscheinlich. Bringt ihn in den Tartarus“, befahl der König seinen Wachen unbekümmert. „Wo er bis in alle Ewigkeit bleiben wird.“
10. KAPITEL
Es dauerte zwei Tage, doch schließlich fand Nike heraus, wo Atlas wohnte – in einem weitläufigen Anwesen auf dem Olymp. In Titania, wie Cronus die Stadt benannt hatte. Der Reichtum, den Atlas gebraucht hatte, um sich eine solche Villa zu leisten, erstaunte sie – und sie wusste genau, wie viel er bezahlt hatte, denn einst hatte das Haus ihr gehört. Doch wahrscheinlich war es ihm jeden Cent wert gewesen. Nachdem er Tausende von Jahren in einer winzigen Zelle verbracht hatte, wollte er wahrscheinlich jedes bisschen Platz haben, das er kriegen konnte. Und sämtliche Annehmlichkeiten.
Es gab einen Swimmingpool, mehr als dreißig Schlafzimmer, zwei gewundene marmorne Treppen und vier Kamine, und alle Wände bestanden aus massivem Gold. Doch nichts davon interessierte sie. Nur sein Schlafzimmer.
Dort erfuhr sie mehr über den Mann, der sie fortgeschickt hatte. Einen Mann, der niemals all das hier riskiert hätte, nur um ihr Gesicht nicht mehr sehen zu müssen, wie er behauptet hatte. Einen Mann, der sein Leben für nichts aufs Spiel gesetzt hätte als für die Liebe.
Fast alles war so, wie sie es hinterlassen hatte. Ein riesiges
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