Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
dem Kopf Richtung Flur. «Ich habe den Eindruck, ihr nehmt das hier alles nicht mehr wahr!» Der reinste Amoklauf auf dem Flur, vereiterte Männer mit Fieber, niemand hat Zeit, und dann wird genörgelt, dass in einer 1:1-Versorgung nicht alles à la carte läuft? Das ist eine Intensivstation und kein Wellness-Club, das habe selbst ich schon begriffen. Eingeschnappt und wohl auch ein wenig konsterniert von meinem unerwarteten Konter packt der Prüfer seinen Schreibkram ein. «Ich schreibe dir noch eine Zusammenfassung von diesen drei Stunden», kündigt er mit wichtigtuerischer Miene an.
Ich bleibe stinkwütend sitzen. Die praktische Prüfung kann kommen. Ich weiß, dass Generalproben schiefgehen müssen, damit die Premiere umso glanzvoller ist.
Obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche, als das Examen endlich hinter mir zu haben, damit ich mich nicht mehr bereits beim Umziehen fragen muss, ob ich auch alles richtig mache, verläuft die Abschlussprüfung dann aber doch nicht ganz so glanzvoll. Das Examen gleicht den Sichtstunden, nur dass statt einer weisen Person nun zwei Weise stumm wie die Fische am Fensterbrett lehnen und sich Notizen machen – und wenn zwei Personen nichts sagen, dann wird es noch stiller im Raum. Erleichtert stelle ich am Morgen der Prüfung fest, dass ich die ausgewählte Patientin schon mehrfach betreut habe: Frau Hoppe ist sterbenskrank, das Versagen ihrer Leber geht einher mit einem deutlich gelb verfärbten Aussehen, und hinzu kommt ein Nierenversagen. Da sie in der letzten Nacht wieder vermehrt Urin ausgeschieden hat, bin ich zum Glück den Hämofilter los. Das ist überhaupt das Größte – kein Gepiepe, kein Generve, keine technischen Fallstricke und kein interessiertes Geprüfe und Notiere beim Aufbau eines neuen Gerätes! Jede potentielle Fehlerquelle, die nicht vorhanden ist, verschafft mir ein bisschen Entlastung. Das Zimmer ist tipptopp mit Material aufgefüllt, die Frühdienstbelegschaft drückt mir die Daumen, und für den Ernstfall liegt Schokolade parat. Ich versuche mich zusammenzureißen und grüße freundlich in die Runde. Die beiden Examinatoren sind überraschend nett, sie sind wahrscheinlich froh, wenn sie eine weitere Kandidatin als «bestanden» abhaken können, um sich dem nächsten Nervenbündel zu widmen.
Es läuft fast genauso wie in der Sichtstunde, nur dass ich entsetzlich aufgeregt bin, lediglich drei Stunden geschlafen und das Gefühl habe, rein gar nichts auf die Reihe zu bekommen. Während die beiden Weisen mit Papierkram beschäftigt sind, schreibe ich meine Pflegeplanung. Als wir das Zimmer betreten, habe ich das Bedürfnis, gleich wieder hinauszulaufen. Die Patientin sieht fürchterlich aus und ich bin froh, dass ich die Pflegeplanung übersichtlich gestaltet habe, damit die beiden Weisen nicht quengeln, weil es keinen Nachtisch gibt.
Die Prüfer sagen: «Tu einfach so, als wären wir nicht da!» Diese Aufforderung ist ebenso sinnvoll wie «Entspann dich» oder «Hör auf zu heulen». Ich fühle mich wie in der
Muppet Show,
in der die beiden Alten auf ihrem Balkon die Darbietungen hämisch in der Luft zerreißen und böse lachen. Obwohl alles wie am Schnürchen läuft, habe ich den Eindruck, neben mir zu stehen. Mein Kopf ist wie in Watte gehüllt, und ich muss aufpassen, dass ich nicht vor lauter Stress vergesse, die Patientin anzusprechen – wenngleich ich den Eindruck habe, dass sie es angesichts all der Narkosemedikamente gar nicht bemerken würde. Angespannt versuche ich die Show der Super-Intensivschwester aufrechtzuhalten. Kurz darauf kommt der Vollbart ins Zimmer, der als Stationsarzt bereits bei Dienstantritt darüber informiert wurde, dass bei mir im Zimmer heute Examensprüfung stattfindet. Er zwinkert mir zu, bespricht mit mir das Ergebnis der Visite – und ordnet lediglich eine Laborkontrolle an. Keine Extras wie Einläufe oder ähnlich tückische Unterfangen. Als ich mit der Pflege fertig bin, hilft mir die Bohnenstange, der eigens zu meinem Beistand abgerufen wurde und draußen auf dem Flur herumtigert, beim Betten und dem Verbandwechsel der Trachealkanüle. Die beiden Prüfer sitzen stumm wie die Fische auf der Fensterbank und machen sich Notizen. Außerdem sind sie ja auch gar nicht da. Dann sind wir fertig, und die Bohnenstange verlässt das Zimmer.
Schließlich muss ich noch einen kurzen Theorieteil über mich ergehen lassen. Es geht um die technischen Feinheiten des Beatmungsgerätes – und plötzlich kann ich nicht mehr.
Weitere Kostenlose Bücher