Science Fiction Almanach 1981
daran, daß eine große Anzahl von Frauen ebens o viel Talent zum Schreiben besitzen wie Männer. Es könnte sich um eine Art von gesellschaftlich gesteuerter Tendenz handeln. Sie kennen die Fälle, in denen früher Mädchen a b geraten wurde, sich mit Mathematik zu beschäftigen, o b wohl sie in den unteren Klassen häufig ebensogut sind wie die Jungen. Sie kennen die Argumentation: „Mädchen kö n nen mit Mathematik doch überhaupt nichts anfangen.“ Ebensogut könnte es heißen: „Mädchen brauchen keine Science Fiction zu schreiben.“ Sie landen dann eben bei der Fantasy. Ich weiß nicht, ob man geglaubt hat, es ginge in der Fantasy soviel weniger rauh zu als in der SF, daß Frauen von daher eher für erstere Neigung verspüren müßten. Ich weiß nicht, ob es damit etwas auf sich hat oder nicht. Ich könnte mir allerdings etwas in dieser Richtung vorstellen. Auf alle Fälle glaube ich, daß auch in Zukunft eher Männer in beiden Bereichen gleichzeitig produktiv sein werden. Das sind doch ohnehin schon viele Männer, etwa Poul Anderson oder Larry Niven, und auch Gordon Dickson hat Fantasy geschrieben.
Frage: Merkwürdigerweise ist die weibliche Dominanz auf dem Fantasy-Sektor ein aktuelles Phänomen. Früher handelte es sich nahezu ausschließlich um ein männliches Territorium. Es gab keine Autorin vom Format eines Tolk i en, Peake oder Lord Dunsany. Ballantine hat in seiner Fa n tasyreihe Hope Mirrilees und Evangeline Walton aufgelegt, die beide über urlange Zeit hinweg vollständig vergriffen und daher auch in totale Vergessenheit geraten waren. Gla u ben Sie, daß sich in den vergangenen fünfzehn Jahren plöt z lich einiges geändert hat?
Vinge: Ich weiß es nicht. Vielleicht hängt es mit gesel l schaftlichem Wandel zusammen, der Frauen größere Mö g lichkeiten einer beruflichen Karriere eröffnet. In der Mark t kategorie der mystery novel hat es allerdings immer Frauen im Spitzenfeld der Autoren gegeben. Sie wissen, daß es au s gesprochen wenige männliche Autoren gibt, die an Tolkien herankommen. Im Bereich der Science Fiction fällt es einem schwer, unter den Klassikern den Spitzenautor zu benennen, aber auf dem Sektor der Fantasy ist es ausgesprochen ei n fach. Normalerweise läßt sich niemals Einmütigkeit der Meinungen herstellen, wenn es um die Frage geht, wer denn der Größte und Beste auf einem bestimmten Gebiet sei, aber im Falle Tolkien gibt es in dieser Hinsicht keine Probleme. Tolkien überragt alle seine Kollegen um Haupteslänge, und er verdient diese Position, weil er ein unvergleichliches e r zählerisches Werk geschaffen hat. Die meisten Titel der Ba l lantinereihe, die Arbeiten von männlichen Autoren eing e schlossen, sind übrigens literarische Produktionen, die seit langem vergriffen waren. Bei einer ganzen Reihe dieser B ü cher handelt es sich wirklich um Obskura, und einigen merkt man das auch in der Tat an. Meiner Meinung nach war es Frauen bis vor fünfzehn Jahren nicht gestattet, in der Öffen t lichkeit zu tun und zu lassen, was sie wollten. Sie mußten im Privaten verborgen bleiben, konnten dort zwar malen oder schreiben – etwa Fantasy, die zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts unter ihnen ausgesprochen beliebt war –, aber doch nur zu ihrem eigenen Vergnügen. Vielleicht liegen auf irgendeinem Dachboden noch Meisterwerke der Erzählkunst und verstauben. Frauen war es ja nicht erlaubt, ihre Arbeiten an Verlage zu schicken. Man muß diesen Aspekt besonders betonen!
Frage: Aber viktorianische Frauen schrieben doch eine ganze Menge Geistergeschichten. Man hat eine ganze Reihe Anthologien mit Erzählungen dieser Art herausgegeben.
Vinge: Das ist allerdings wahr. Mary Shelley setzte mit ihrem Frankenstein die ganze Sache in Bewegung. Siche r lich hat es Zeiten gegeben, in denen Frauen aktiver am künstlerischen Leben teilnehmen durften. Ich denke da etwa an die Zwanziger Jahre. Zu dieser Zeit wurden in größerem Maße Schriftstellerinnen bekannt, allerdings auch eine Menge männlicher Kollegen. Es war eine Zeit wachsender sozialer Befreiung. Allerdings gab es auch schon früher eine Reihe weiblicher Autoren, ich denke da etwa an George Sand. Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts läßt sich immerhin ein recht beachtlicher Anteil solcher Frauen fes t stellen. Leider habe ich mich mit der Komplexität der g e schichtlichen Entwicklung, gerade was gesellschaftliche B e dingungen von Literaturproduktion anbelangt, nicht ausre i chend genug beschäftigt, um
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