Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
bin zwar jetzt eine enttäuschte alte Person; aber auch ich war einmal knusprig . . .«
»Nun, nun; das kann unmöglich lange her sein!«
Sofort entfährt ihr ein gurrendes Kehlgelächter; licht blitzen die Nüstern. Ich nehme die Wirkung wahr und werde distanzierter. »Handelt es sich um dieses Zimmer hier?« frage ich.
Sie nimmt Strenge an. »O nein, Herr Doktor. – Dieses Zimmer ist ein Sanktum; hier wohnt mein Mann.«
»Aber Sie sind doch verwitwet, gnädige Frau . . .«
»Ich bin Witwe und bin es auch nicht, Herr Doktor. Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß es so einen Zustand gibt.« Sie flüstert, und ihr Gesicht, die Kamee, spiegelt sich verschwommen in der Tischplatte; ihr Zischeln läßt einen matten Hauch darüberhuschen. »Hier –«, und sie blickt sich um wie ein witternder Falke, mit ruckweisen Profilstößen, »lebt und webt er. Glauben Sie mir, er würde sehr zürnen, wenn so etwas wie . . . ein Nachfolger es sich hier bequem machte . . . Er ist eifersüchtig!« spricht sie mit sonorer Altstimme, laut, vernehmlich. Die bläulichen Augäpfel rollen, leises Echo des Wortes bebt nach in verstecktem Klirren alten Porzellans. Es ist, als zucke ein vergrabener Pulsschlag durch den greisen Mahagoniturm des Büfetts. »Er kontrolliert mich! – Neulich –« und der mattschimmernde Busen gewinnt, von einem pfeifenden Seufzer gehoben, an Plastik – »fand er so viele Worte für seine Entrüstung, daß Linda kaum folgen konnte auf der Schiefertafel. Dabei schreibt sie schnell. – Es ist ein Kreuz.«
Ich finde mich sofort zurecht. »Aha«, sage ich. »Dann muß man ihm eben, im selben Tempo, zu verstehen geben, daß er sich, den Teufel auch, verständlicher manifestieren soll. Es ist überhaupt billig, aus dem Jenseits heraus zu schelten. Man bringt die eigenen Argumente so schwierig an. Und versucht man's doch, so verschanzt er sich hinter dem großen Schweigen, wie?«
Sie blickt mich schier entgeistert an. Sie rückt näher herzu, mir wird wieder schwül. Doch sie meint es diesmal nicht so, o nein; sie fühlt sich verstanden und ist fast außer sich darüber.
»Ich hab' mir's gleich gedacht, als ich Ihre Dichterstirne sah, Herr Doktor,« murmelt sie hingerissen, »daß da ein Mensch gekommen sei, ein seltener, der meine ganz schaurig-schöne Situation begreift . . . Ihnen sag' ich alles, und was wird sich erst Linda freuen, das Kind, das zutrauliche . . . Also hören Sie. – Mein Mann schmeißt mit Invektiven, das stimmt. Lediglich weil ich einen Freund hab'. Denken Sie, und ganz platonisch. Ein alter Herr, nah an Siebzig! Bitt' Sie, ist das ein Grund für meinen Mann? So ein bisserl ist der alte Herr ja noch zärtlich; aber was kann da weiter herausspringen, bei siebzig Jahr'! Nur ein paar Ausdrücke hat er, wissen Sie, wie ein Kind, wenn es was möcht' . . . und diese Ausdrücke: da könnt' ich tiefsinnig werden! Die hat er von meinem Mann! ›Ganz mein Mann‹, sag' ich dann zu ihm! – Und dann freut er sich, das Dummerl, und ist ganz zufrieden . . . Vorkommen tut nie etwas, weil ich treu bin, und es fällt mir nicht schwer . . . Aber es scheint, daß der Jenseitige kein Urteil hat. Eine beschlagene Brille, sozusagen. Er glaubt einfach, er wird betrogen, und dann schimpft er ohne Sinn und Verstand . . .« Sie tupft sich die Augen mit dem Taschentuch.
»Nun ja«, meine ich. »In diesem Fall haben Sie's aber doch leicht. Warum sagen Sie nicht einfach zu Linda: ›Leg' die Schreibtafel weg!‹? Dann ist er doch gestraft! Dann ist ihm der einzige Weg abgeschnitten, auf dem er sich bemerkbar machen kann . . .«
Sie starrt mich an, schier atemlos. Nichts rührt sich in der Kamee ihres Gesichts. Sie sieht drein wie ein hellenistisches Mumienporträt. Der Mund steht halb offen, wie gelähmt. Übermäßig viel neue Ideen – (fühle ich) – gibt es nicht in diesem Hause; und die meine war sehr neu. – Endlich dringt es ihr geflüstert aus der Kehle, hilflos bestürzt und halb fragend:
»Aber ich bitt' Sie: – ich darf ihm doch den Rapport nicht erschweren . . .?«
Dies ist irgendwie sehr rührend. Mein Zynismus verraucht wie Fleckwasser. Es ist toll: eine Frau, die einem Phantom die Treue hält! – Eine Bukarester Odaliske, die ihre Erotik knebelt, um einen Geist nicht zu verkürzen! Die ganz listig zu Werk geht, damit er, an dem sie alles zu messen fortfährt, nichts erfahre und auf spukhafte Weise, mittels automatischer Schrift, seinen Unmut lüfte! –
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