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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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wieder geputzt hatte. Der kleine Professor begann Boggi lieb und wert zu werden, und er gab sorgsam acht, Schritt mit der morschen Gestalt zu halten, die gedankenvoll mit dem Kopfe nickte.
    Und wie sie so dahinschritten, zögerte die Zeit, sie schien sich selbst einzulullen, sie schlief ein; und Boggi empfand – zum zweiten Male – die Betäubung des absolut Leeren; doch seine Genugtuung war groß. Der Mond schwebte, festgebannt, stets die gleiche kalkweiße, von blauen Schatten berieselte Welt, über dem Wundergarten, Wellen, gleichbleibende Wellen herabsendend im ewigen Rhythmus des Lichts. Und nun geschah es, daß der junge Mann sich verwandelt fühlte, ganz verwandelt. Der Spott versiegte wie ein müdes Bächlein, und die Ehrfurcht wucherte wie ungebärdiges Wachstum auf dem neu beackerten Boden seines Gemütes auf. »Nun beginne auch ich zu staunen«, sagte er sich und zitterte. »Ist das das Ende?«
    Er wagte es, das Schweigen zu brechen.
    »Herr Professor,« fragte er, »und was ist – – die größte, die Hauptillusion?«
    Der Professor war zusammengefahren. Dann lächelte er wieder eigentümlich.
    »Sie fragen: Was ist Wahrheit? – Ja, sehen Sie, Sie wollen es immer noch, dies ›Ding an sich‹. – Ich will's Ihnen aber verraten. Die größte Illusion ist der, zu dem Sie wollen.«
    »Also der – Chef?«
    »Ja.«
    »Und was ist der Chef?«
    Der Professor sparte sich die Antwort noch ein weniges auf. »Kommen Sie, ich will Ihnen etwas zeigen.« Der Weg stieg, und sie kletterten schweigend viele, viele Stunden lang. Endlich gelangten sie an eine Höhle, einem Tunnel vergleichbar, an deren Ende ein flammend rotes Dreieck glänzte. Sie schritten hinein, auf das Dreieck zu, das den Ausgang der Höhle bildete.
    Der Professor hob die Hand. – »Gehen Sie durch; da werden Sie Ihren kleinen Freund wiederfinden und den . . . Chef erkennen.« Er selbst schritt zurück und zwinkerte heftig, denn seine Augen waren sehr geblendet. – Boggi trat aus dem Ausgang und sah sich um.
    Er stand auf einer kurzen Halde, und ringsum blauten Abgründe. Er stand in kahler, einsamer, herrlicher Höhe. Die Sonne ging auf. Die Sonne, wie ein rotes Meer von Feuer, brandete mit Licht, purpurn zerrieselndem Licht über den hellblauen Himmel: sie färbte Bergspitzen über Bergspitzen; sie feierte ein mächtiges, schier zürnendes Auferstehen. Sie war wie ein Schild und ein Hagel von Glanzpfeilen und kühler Glut; sie war wie eine Schlacht; sie siegte; und alles beugte sich vor ihr, übergossen von rosiger Scham, erschauernd in Demut bis in unendliche Ferne.
    Boggi fiel nieder. Und als er die Augen wieder erhob, sah er vor sich, im kurzen Gras, ein Kind sitzen, ein kleines, rosiges Kind. Dies hatte seine Händchen auf den Boden gestemmt und schaute mit geöffnetem Mund mitten in die Sonne hinein; ein kleines, unmündiges Kind war's in der gigantischen Einsamkeit der Bergwelt. Es staunte und saß regungslos, nur in sein Staunen verloren. Und auch Boggi staunte, und staunend dachte er: »Dies ist . . . der Chef; ein Kindchen klein, das nicht einmal ›Ich!‹ sagt; das ganze Weltall lebt in ihm, schlackenlos, rein und von keinem Gedanken zerstückelt. Es sieht die Größe und staunt; es ist dumm und klein und sitzt auf einer Berghalde und weiß sich nicht zu fassen . . .«
    Eine Reue überkam ihn, überwältigend, furchtbar. »Und ich? – habe ich ihn je erkannt? – Habe ich je auf einer Halde gesessen und in die Sonne gestaunt? . . .« Er wendete die Augen ab; ein Schluchzen schüttelte ihn. – Da sah er ein gefiedertes Blättchen unter seinem Gesicht; er hatte nie etwas Schöneres gesehen. Er streichelte es; es war ihm ein Wunder; ein unfaßliches Wunder.
    Er lag und starrte es an.
    Die Sonne stieg höher, rein, flammend; langsam und gewaltig trat sie ihren Kreislauf an. Boggis Gedanken schwanden. – – Er lag da; er hörte ein kleines, helles Jauchzen und lächelte; er sah das Kindchen, wie es sich leuchtend im Grase hin und her rollte.
    Dann wurde es blau in ihm, immer blauer und blauer . . .

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    Als das Muttersöhnchen nach Hause kam, fand es den Meister mit einem sonderbaren Ausdruck tot auf seinem Bette liegen, und um ihn her standen sechzehn geleerte Liköre. Es rannte fassungslos fort und holte die anderen zusammen. – Sie kamen, verwildert und angetrunken, und nahmen ihm eine Gipsmaske ab.
    Und dann, da er ihnen auf diese Art entzogen war, beklagten sie auch die Beträge, die sie nun und nimmer

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