Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
darin ich sitze, schier ein Saal. Es ist Halbdunkel, weil die gelben Damaststores an den zwei Fenstern herabgelassen sind. Ich befinde mich in Gesellschaft großer, trotziger Möbel, deren Schlummer ich störe. Es riecht nach Staub. An der Wand steht ein Gebäude aus Mahagoni, mit Schnörkeln und Schnecken, die Meisterleistung eines Handwerkers, der vor sechzig Jahren blühte. Vor mir als spiegelnde Wüste dehnt sich ein Tisch, an dem zwanzig Gespenster bequem tafeln könnten ohne Besorgnis, sich mit den Ellenbogen zu genieren. Um diesen Tisch gruppieren sich frühviktorianische Stühle, hochlehnig, steif, die schlicht geschweifte Armstützen öffnen. Diese Gruppe ist in das gelbe Dämmerlicht der Stores getaucht und empfängt mich mit Ansprüchen, die leise knacken. Oder gehen diese Geräusche von dem Möbel aus, auf dem ich sitze? Ist es mein Pulsschlag, der die mit geblümter Cretonne überzogene, britisch geräumige Polsterung zum Protest anregt? – »Ein Besuch«, denkt das Möbel und wird kritisch. Ich beruhige es, indem ich es streichle. An den Wänden dämmern, halb verwischt durch die Mausoleumsbeleuchtung, Schabstiche, von längst verdorrter Hand in Rosa und Hellblau koloriert: nacktbusige englische Backfische, deren ländliches Gemütsleben durch zerbrochene Krüge und entflogene Piepvögel erschüttert ist und die verschollene Zähren vergießen. Auf anderen Bildern ist ihre Unschuld durch stürmische Herren mit prall sitzenden Wildlederhosen in Frage gestellt. Diese Unschuld klagt in altmodischen Symbolen zu den Wattewölkchen zärtlicher Himmel hinauf. Und immer wieder ist es der gleiche veilchenblaue Augenaufschlag der Hamilton . . .
Ich werde ganz versonnen; die »Gnäfrau« läßt auf sich warten. – Endlich klinkt der Messinggriff der hohen weißen Tür, und etwas Dunkles, Feistes rauscht an mir vorüber mit den in österreichischem Akzent geäußerten Worten: »Kleinen Moment, Herr Doktor . . . Ich mach' sofort Licht . . .«
Sie zerrt an den Schnüren der gelben Stores; das grelle Asphaltlicht des heißen Julimittags dringt ruckweise herein. Unter brüchigem Schnurren vergewaltigt sie den Mechanismus; bald ist der Raum voll trockener Sonne, die von den gegenüberliegenden Fenstern des erzbischöflichen Palais reflektiert wird. Der Glanz erobert sich noch die eine Hälfte der Mahagoniwüste; wir beide bleiben im hellen Dämmer sitzen. Feist und dunkel rauscht sie zurück und bietet sich der Betrachtung dar. Es ist die Üppigkeit einer Odaliske, die zunächst an Frau Bibescu auffällt. Ihr Leib ist von tief violenfarbenem Hausgewand aus Schillersamt umhüllt. Darüber pendelt eine Garnierung von haarsträubend verwahrlosten echten Spitzen; sie quellen überall hervor, es ist ein Reichtum. Der Busen, eine undefinierbare, mattschimmernde Masse, wird vom Hausgewand mild gebändigt, ohne jedoch Einschränkungen zu erliegen. Im Gegenteil: er kennt keine Grenzen, wie die Liebe.
Die Züge sind regelmäßig wie bei einer augusteischen Gemme; heller Bernstein. Man kennt die Leere, die oft in der Symmetrie »klassischer Antlitze« haust. Der blasse Mund (oder ist es nur der Teint, der die Lippen blaß erscheinen läßt?) zeigt porzellanweiße Zähne in erstarrtem Lächeln. Die fein geschnittene Römernase bläht die Nüstern; lichtziegelrot blitzt es auf, wenn sie in schalkhaften Momenten den Kopf zurückwirft. Diese Nüstern sind das einzige Rege in dem sonst toten Gesicht. Denn die Augen, so grell sie auch rollen unter bläulichen Liderkuppeln, behalten den Ausdruck bei des nicht ganz Bei-der-Sache-Seins, des Zurückspähens in den Osten: animalisch, melancholisch, entlegen . . . Niedere, glatte Stirn tritt aus blauschwarzer Frisur, die sich im Nacken zu erstaunlichem Knoten schlingt. Dies Haar ist echt und hat den Glanz von Rabenfedern. An dem Modellierwachs flacher Ohrmuscheln hängt, Blutstropfen gleich, Granatschmuck. Er klirrt leise, sobald der Kopf auf bewegtem Busen ins Schaukeln kommt . . .
II
»Sie haben Glück, Herr Doktor. Sie sind der einundzwanzigste Herr, der die Zimmer will. Warum Sie sie wahrscheinlich bekommen, werden Sie erfahren, wenn wir uns . . . näher kennen. Sie wer'n es mir zugute halten, daß ich ein wenig mißtrauisch bin, es ist Lindas wegen . . . Wer Linda ist? Nun, Linda ist meine Tochter; ein Prachtkind, ein talentiertes . . . Ich zeig' sie Ihnen nachher . . . Schüchtern ist sie ja. Aber heißes Blut hat sie geerbt von mir; tchaa . . .! Ich
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