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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Jahrzehnte hatte sie profitiert. Ohne eigenes Zutun. Und ja, sie betrieben dort Forschung und Entwicklung. Er betrieb Forschung und Entwicklung. Er und ein Laborant. Stimmte schon. Sie hatten die Rezeptur verbessert, die Galenik, die Kosten gesenkt. Und so weiter. Das war schon was. Im provinziellen Rahmen.
    Semmler dagegen: der hatte nach dem Gymnasium Betriebswirtschaft studiert – also schön, das war weder Wagnis noch Schicksal-in-die-eigene-Hand-nehmen. Lag nur nahe bei dem Elternhaus ... aber dann. Zuerst hatte er geerbt. Was alles leichter machte, das musste man objektiv zugeben, Semmler war mit einem Schlag reich geworden. Aber statt das Vermögen nun zu verschleudern, die Fabrik zu ruinieren – was Koslowski von seinem Schulfreund erwartet hätte – war es Semmler gelungen, die Fabrik, als es mit der Textilbranche unübersehbar abwärts ging, durch irgendwelche Schliche in einen Gewerbepark umzuwandeln und richtig beschissen reich zu werden. Noch reicher. »Reich ist nur der Vorname«, wie man in der Schweiz sagt. Koslowski spekulierte selbst ein bisschen mit Derivaten und blieb immer schön unterhalb des Niveaus, wo es gefährlich werden konnte. Er verlor, aber er gewann öfter, alles auf der Basis von »Spielgeld«, das man riskieren konnte, das dazu vorgesehen war. Er hatte damit den einen und anderen Urlaub finanziert, er hatte einen Riecher für Gelegenheiten. Manchmal, nicht oft. Seine Vorsicht hielt ihn vor großen Risiken ab. Und vor großen Gewinnen. Solche Gewinne aber schienSemmler zu machen. Koslowski kannte die Semmlervilla, als sie beide noch ins Gymnasium gingen, war er dort manchmal zu Besuch gewesen. Es gab ein automatisches Tor. Zwei Meter groß, aus starken vierkantigen Stahlstäben. Vom Tor führte die gekieste Einfahrt an den Garagen vorbei zum Haus.
    Aus irgendwelchen Gründen benützte Semmler nicht immer die Garage, sondern ließ den Wagen auf der Einfahrt stehen. Koslowski sah diesen Wagen dort so oft, dass es kein Zufall sein konnte: Semmler wollte ihn ausstellen. Wer zum Gewerbepark wollte, musste an dem breiten Tor in der Thujenhecke vorbei, das dazu aufforderte, einen Blick in den Garten der Semmlervilla zu werfen. Der fiel dann auf den Jaguar. Koslowski ließ es sich, wenn er vorbeifuhr, nicht nehmen, anzuhalten, auszusteigen und das Auto aus der Nähe anzuschauen. Jaguar. Semmler hatte schon in der Schule von dieser Marke geschwärmt. Andere auch, aber als Einziger in der Klasse hatte er auch die reale Aussicht auf ein Auto dieser Art. Koslowski war ans Torgitter getreten, hatte wie ein Sechsjähriger das Gesicht zwischen die Stäbe gepresst und auf das Auto gestarrt. Alles im Aufnahmebereich der Kamera, die hoch und unübersehbar am rechten Torpfosten befestigt war. Hatte gehofft, dabei von Semmler beobachtet, erkannt und über den Torlautsprecher angesprochen zu werden. Dann hätte sich eine kleine Unterhaltung ergeben, er wäre hinein gebeten worden, man hätte sich ausgetauscht, wie geht’s, was machst du so, bist du verheiratet, Kinder? Ein Kontakt wäre neu geknüpft worden, der schon ein Jahr nach der Matura abgerissen war. Semmler war zu keinem einzigen Jahrestreffen erschienen (Koslowski ging immer hin), und Semmler war auch kein einziges Malvor seinem Haus aufgetaucht, wenn Koslowski dem Jaguar gebührende Bewunderung zollte. Vielleicht hatte er ihn aber auf dem Überwachungsmonitor doch gesehen, erkannt – und gehofft, Koslowski, der Versager, möge bald wieder verschwinden. »Das weißt du nicht«, hatte Ursula gesagt, »vielleicht ist er gar nicht zu Hause ... du bist ja fixiert auf diesen Semmler!« Dann bedauerte er, ihr von dem Wagen erzählt zu haben; er konnte sich einfach nicht zurückhalten.
    Auf der Straße, direkt vor seinen Füßen, lag ein Schlüsselbund. Schwarzes Leder, ziemlich groß. Er hob ihn auf. Sechs Schlüssel, zwei schmale, vier mit breiterem Bart, alles neue, komplizierte Sicherheitsschlüssel. Semmlers Schlüssel.
    Er steckte den Bund ein und ging zum Auto zurück. Nein, Ursula hatte unrecht. Er war nicht fixiert auf Semmler. Er war nur vier Jahre neben ihm in derselben Bank gesessen und hatte ihn abschreiben lassen. Immer. Ohne eine einzige Ausnahme, da hatte es nie die geringste Diskussion gegeben. Latein, Mathematik. Einfache Sache. Semmler war faul, Koslowski fleißig. Aber Semmler stand nicht so schlecht, dass eine bessere Note aufgefallen wäre; wenn er sie erreichte, die bessere Note, hieß es nur: diesmal hat er ja doch gelernt!

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