Sepp und das Millionending
zur Flucht wahrnehmen...
So überlegte Willem und warf einen raschen, forschenden Blick auf das Fenster, gegen dessen Rahmen in diesem Augenblick der Laden schlug.
Der Mann mochte aus Willems Ausdruck dessen Fluchtgedanken erraten haben, denn er grinste hämisch und höhnte: „Entfliehen ist nicht drin, mein Bürschchen. Das kannst du dir ruhig aus dem Kopf schlagen. Ich lass’ dich nicht aus den Augen, bis meine Freunde kommen. Ein Muckser — und es ist aus mit dir!“
„Sie wissen, daß ich nicht allein an der Ahr zelte“, trotzte Willem.
„Ja, ihr wart zu dritt hier heute nachmittag. Bilde dir nicht ein, daß du mir damit drohen kannst!“
„Wir sind sogar zu viert! Und meine Freunde wissen, wo ich hingehen wollte. Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, dann melden sie es der Polizei.“
„Zu spät, mein Kleiner, viel zu spät! Dann sind wir schon längst über alle Berge, und du...“
Mitten in seiner Drohung brach der Mann jäh ab. Er hatte die ganze Zeit über mit dem Rücken zum Fenster gestanden.
Willem dagegen saß so auf dem Stuhl, daß er zum Fenster hinausschauen konnte. Schon einmal schien es ihm, als habe er für einen kurzen Augenblick draußen ein Gesicht erkannt, aber er war nicht ganz sicher. Seitdem hatte er immer wieder einmal verstohlen dorthingeschielt. Und jetzt, bei den letzten Worten des Mannes, war dieses Gesicht plötzlich wieder an der linken Seite des Fensterrahmens aufgetaucht! Willem hatte es deutlich gesehen — und diesmal auch erkannt: Es war niemand anders als Sepp, der seinem bedrängten Freund ein Zeichen geben wollte!
Willems freudige Überraschung war so groß, daß er seine Erregung nicht ganz unterdrücken konnte. Er hatte seine Augen zu weit aufgerissen und für den Bruchteil einer Sekunde zu lange auf das offenstehende Fenster gestarrt — und damit den Mann stutzig gemacht.
Der Mann hatte in seiner Rede jäh gestockt, als er das Aufflackern in Willems Augen bemerkte, die zum Fenster hinstarrten. Blitzschnell drehte er sich um und folgte diesem Blick. Aber was er sah, waren nur das offenstehende Fenster und der Holzladen, der eben wieder von einem heftigen Windstoß erfaßt und gegen die Wand geschlagen wurde. Dafür hörte er ein auffallendes Geräusch, wie wenn hohle Blechbehälter gegeneinanderstießen.
Der dicke Willem wußte sofort, was das bedeutete: Sepp mußte sich draußen auf die leeren Konservenbüchsen gestellt haben und umgekippt sein. Vielleicht hatte er vorher auf die beiden Dosen noch zwei weitere getürmt — oder die beiden übereinander. Denn Sepp war einen Kopf kleiner als Willem, und durch die heftige Bewegung, mit der sich Sepp vor dem Blick des Mannes verbergen wollte, war er bestimmt gestürzt.
Was der dicke Willem ahnte, mußte dem Mann noch unklar bleiben. Aber der Junge spürte, wie der andere ans Fenster stürzen wollte, um festzustellen, was draußen geschehen war. Das aber mußte Willem vereiteln, denn er sagte sich: Wenn der Mann jetzt zum Fenster hinausschaut, sieht er bestimmt Sepp davor im Dreck liegen, und dann weiß er, daß wir belauscht worden sind. Das soll er jedoch nicht erfahren, denn sonst geht’s auch noch Sepp an den Kragen... Das muß ich auf alle Fälle verhindern!
Gerade als sich der Mann zum Fenster wandte, schnellte der dicke Willem von seinem Platz hoch und stürzte auf die Tür zu. Es war ihm klar, daß dieser Fluchtversuch mißlingen würde, denn die klemmende Tür zu öffnen, kostete zuviel Zeit. Aber Flucht war ja auch nicht der eigentliche Grund seines Handelns — er wollte damit ja nur den Mann vom Fenster fernhalten, indem er die Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
Diese Rechnung ging auf!
Statt ans Fenster zu eilen, verfolgte der Mann den davonlaufenden Jungen.
„Halt, hiergeblieben!“ schrie er und packte den Fliehenden am Arm, noch ehe Willem die Türklinke hinunterdrücken konnte.
Den Schlüssel, den der Mann vorhin in die Manteltasche gesteckt hatte, holte er jetzt mit der linken Hand heraus, steckte ihn ins Schloß und drehte ihn einmal um, während er mit der rechten Hand immer noch seinen Gefangenen festhielt. Dann zog der Mann den Schlüssel wieder ab und ließ ihn zurück in die Tasche gleiten.
„So, Bürschchen, der Weg da ist dir versperrt. Und drüben das Fenster machen wir auch gleich zu. Übrigens, was war das da vorhin für ein Geräusch?“
„Geräusch? Was meinen Sie denn?“ fragte Willem gedehnt, um für seinen Freund Sepp mehr Zeit herauszuschinden, sich
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