Shane - Das erste Jahr (German Edition)
rostbraune Halterungen aus Eisen, das mussten die Fackelträger sein.
Shane leuchtete weiter nach vorn, sie musste sich dazu zwingen, die Angst hatte sie nun wieder fest im Griff, hatte sich wie eine eiserne Faust um ihre Lungen gelegt.
Die ersten fünf Meter schien der unterirdische Gang in einem guten Zustand, soweit Shane das beurteilen konnte. Doch je weiter sie den Strahl der Lampe nach vorn richtete, umso zerfallener zeigten sich die Katakomben. Shane nahm an, dass weiter vorn eine Kreuzung kommen müsste, die Bibliothek schien nur einer der vielen Zugänge zu sein, von denen in dem Buch die Rede war.
An der einen Seite die Stufen, die nach oben führten und an der anderen Seite unendliche Dunkelheit. Shane atmete flach und ließ den Strahl weiter wandern.
Das Licht wurde von der Dunkelheit verschluckt. Shane atmete tief ein und ging nach vorn. Ein zitternder Strahl aus Licht begleitete sie.
Sie schaute sich um und stellte sich vor, wie einst die Augen und die Jäger hier unten aneinander vorbei gegangen waren ohne sich gegenseitig zu töten.
Die Wärme der Mauern zauberte beinahe ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Shane blieb unvermittelt stehen. Sie hielt den Atem an. Was war das?
Fast war es, als hätte jemand zu ihr gesprochen.
Sie legte den Kopf schief und lauschte. Nichts.
Sie blieb trotzdem stehen. Sie schien etwas zu hören, etwas wahrzunehmen, und es war nicht ihre innere Stimme.
Du musst nur den Arm ausstrecken.
Shane riss die Augen auf. Sie hatte diesen Satz schon einmal gehört, doch sie konnte sich nicht erinnern, wo oder wann das gewesen war. Doch das schien nun keine Rolle zu spielen, denn nun hatte sie ihn wieder gehört, klar und deutlich.
Shane blieb dort, wo sie war und wandte den Kopf zur Seite. Sie runzelte die Stirn.
Der Strahl der Taschenlampe wanderte auf der steinernen Mauer auf und ab. Shane konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Trotzdem bewegte sie sich keinen Meter vorwärts. Irgendetwas war hier, das Ziehen in ihrem Inneren hatte zugenommen, irgendetwas hier verlangte nach ihr, und sie verlangte nach ihm.
Du musst nur den Arm austrecken.
Shane schluckte und hob langsam ihren rechten Arm. Sie blickte ihrer Hand hinterher.
Und dann sah sie es. Auf ihrem Körper breitete sich trotz der Wärme eine Gänsehaut aus.
Shane konnte etwas erkennen, etwas an der Wand stimmte nicht, etwas schien nicht richtig.
Ihre Hand begann einer unsichtbaren Linie zu folgen, Shane kniff die Augen zusammen und dann sah sie es so deutlich, dass sie beinahe „Ah!“ gerufen hätte.
Etwas an dem Muster dieser Wand war anders. Die Steine standen in keiner Regelmäßigkeit übereinander, wohl aber immer versetzt,
doch hier, vor ihr, zog sich eine Linie vom Boden nach oben, machte dann einen Knick, lief ein paar Meter waagerecht und fiel dann wieder in einem neunzig Grad Winkel nach unten herab.
Shane starrte die Mauer an. Hier war eine Tür gewesen. Wann das gewesen war, wusste sie nicht, doch jemand hatte sie zugemauert. Shane dachte an das Gespräch mit der Mutter über die Katakomben und den großen Brand.
Der helle Strahl der Lampe glitt weiter über den einstigen Türrahmen, während Shane überlegte, ob dieser Zugang vor oder nach dem großen Feuer zugemauert worden war.
Schließlich kam sie zu dem Entschluss, dass es keine Rolle spielte, jedoch die Tatsache, dass sie sich von dem, was hinter der Mauer liegen mochte, so stark angezogen fühlte machte ihr klar, dass sie bereits angekommen war. Das, weswegen sie hier war, das, was Kurt sein Leben lang geschützt hatte, lag hinter dieser Mauer.
Das Ziehen im Inneren ihres Körpers war nun so übermächtig, dass Shane sich fast in diesem Raum, der hinter der Mauer liegen mochte stehen sah. Sie wollte in diesen Raum, und zwar jetzt!
Sie wollte es so sehr, dass es nun egal war wie. Shane war es egal, ob sie mit einer Axt aus Gedanken den einstigen Rahmen freilegen würde oder ob diese großen Steine vor ihr wie bei einer Explosion auseinander gerissen werden würden, und inzwischen brannte das Verlangen in ihr so stark, dass ihr die zweite Variante besser gefiel. Sie ging so viele Schritte zurück, wie dieser Gang es zuließ und konzentrierte sich auf die Welle.
Die Kraft in ihr schien nur darauf gewartet zu haben, endlich hinaus zu dürfen und feuerte so schnell aus ihrem Inneren heraus und auf die Steine zu, dass Shane kurz schwankte.
Mit einem Knall platzte die Mauer auseinander, Staub wirbelte hoch und Gesteinsbrocken flogen
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