Shannara V
seiner Zelle auf und ab gehen, und er konnte durch die Spalten in den Fensterläden schauen. Er konnte lauschen, er konnte die Luft schmecken und riechen. Aber Denken war am besten, fand er, eine Beschäftigung, die seinen Verstand wach und frei erhielt. Seine Gedanken wenigstens waren keine Gefangenen. Die Isolation drohte ihn manchmal zu überwältigen, denn er war von allem und jedem abgeschnitten, ohne daß er einen Grund oder einen Zweck darin erkennen konnte, und zwar von Fängern, die sich sorgfältig versteckt hielten. Er machte sich so große Sorgen um Par, daß er manchmal beinahe weinen mußte. Es war, als habe die Welt ihn vergessen und sei an ihm vorübergegangen. Dinge ereigneten sich ohne ihn, vielleicht war alles, was er gekannt hatte, verändert. Die Zeit verfloß in langsamer Folge von Sekunden, Minuten, Stunden und schließlich Tagen. Er war in Schatten und Zwielicht und fast vollständiger Stille verloren, seine Existenz entbehrte jeglicher Bedeutung.
Das Denken hielt ihn aufrecht.
Er dachte ständig darüber nach, wie er entkommen könnte. Tür und Fenster waren solide im Stein des Festungsturms verankert, und Wände und Boden waren dick und undurchdringlich. Er versuchte auf die zu lauschen, die draußen patrouillierten, doch der Versuch erwies sich als ergebnislos. Er versuchte, einen Blick auf jene zu werfen, die ihm seine Mahlzeiten lieferten, doch sie ließen sich niemals sehen. Ein Entkommen schien ausgeschlossen.
Er dachte auch daran, was er tun könnte, um jemanden draußen wissen zu lassen, daß er sich hier befand. Er konnte einen Fetzen Stoff oder einen Papierschnipsel mit einer daraufgekritzelten Nachricht durch die Schlitze im Fensterladen zwängen, aber wozu? Der Wind würde es voraussichtlich auf den See oder ins Gebirge tragen, und niemand würde es je finden. Oder zumindest nicht rechtzeitig genug, daß es irgendeinen Unterschied machte. Er dachte, er könnte auch schreien, aber er wußte, daß er sich so hoch oben befand, daß man ihn nie hören würde. Er lugte ständig aufs Land hinaus, solange es Tag war, doch er sah nie einen einzigen Menschen. Er hatte das Gefühl, vollständig allein zu sein.
Schließlich lenkte er seine Gedanken darauf, sich vorzustellen, was jenseits seiner Zellentür vor sich ging. Er versuchte, seinen Verstand zu benutzen, und als das nicht klappte, versuchte er es mit seiner Phantasie. Seine Fänger nahmen unterschiedliche Identitäten und Verhaltensmuster an. Verschwörungen und Komplotte wurden lebendig, ausgestaltet mit den Einzelheiten ihrer Verbindung zu ihm. Par und Morgan, Padishar Creel und Damson Rhee, Zwerge, Elfen und Südländer kamen allesamt zum schwarzen Turm, um ihn zu befreien. Tapfere Retter machten sich auf. Doch alle Versuche schlugen fehl. Keiner kam bis zu ihm durch. Irgendwann gaben sie alle auf. Jenseits der Mauern der Südwache nahm das Leben sorglos seinen Lauf.
Nach einer Woche dieser einsamen Existenz fing Coll Ohmsford an zu verzagen.
Und dann, am achten Tag seiner Gefangenschaft, erschien Felsen-Dall.
Es war später Nachmittag, grau und regnerisch, die Gewitterwolken hingen tief und schwer, Blitze zuckten in Spinnwebmustern über den Himmel, der Donner grollte in langgezogenem, dröhnendem Getöse aus der Finsternis. Die Sommerluft war geschwängert mit Gerüchen, die von der Feuchtigkeit verursacht worden waren, und in Colls Zelle war es kalt. Er stand nahe am Fenster, lugte durch die Spalten der Läden und lauschte auf das Tosen des Mermidon, der unten durch die Felsschluchten schäumte.
Als er hörte, wie das Schloß seiner Zellentür geöffnet wurde, drehte er sich nicht gleich um, überzeugt, daß er sich getäuscht haben mußte. Dann sah er, wie die Tür sich zu öffnen begann, erhaschte die Bewegung aus dem Augenwinkel und wirbelte herum.
Eine verhüllte Gestalt erschien, groß und dunkel und abweisend, ohne Gesicht und Gliedmaßen, wie ein Geist der Nacht. Colls erster Gedanke galt den Schattenwesen, und er kauerte sich schutzsuchend hin, tastete in der plötzlich eng gewordenen Zelle verzweifelt nach einer Waffe, mit der er sich verteidigen könnte.
»Fürchte dich nicht, Talbewohner«, sagte der Geist mit einer seltsam vertrauten Flüsterstimme. »Du bist hier nicht in Gefahr.«
Der Geist schloß die Tür hinter sich und trat in das dämmrige Licht der Zelle. Coll sah nacheinander den weißen Wolfsschädel auf dem schwarzen Umhang, die linke Hand mit dem Handschuh bis zum Ellbogen und dann das
Weitere Kostenlose Bücher