Sherlock Holmes und das Druidengrab
verstehen.
Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Fähigkeiten und Ihres herausragenden Verstandes. In den letzten Monaten habe ich mich sehr bemüht, Ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, doch leider boten sich dafür nur wenige Möglichkeiten. Ihre Zurückhaltung und seltene Anwesenheit bei gesellschaftlichen Anlässen machten es schier unmöglich, Sie näher kennenzulernen, und allmählich lief mir buchstäblich die Zeit davon, als ich erfuhr, lungenkrank zu sein und bestenfalls noch etwas mehr als ein Jahr zu leben hätte. Anfangs überkam mich die schiere Verzweiflung. Ich haderte mit dem Schicksal, wollte es nicht wahrhaben und verfluchte die Ungerechtigkeit, dass dies mich ereilen musste. Meine Angst vor dem Verfall und dem langsamen Dahinsiechen trieb mich beinah in den Wahnsinn. Doch dann fand ich mich mit dem Unvermeidlichen ab. Zur selben Zeit reifte in mir die Idee heran, Sie – wenn ich Ihnen schon im Leben nicht nahe sein konnte – an meinem Tode teilhaben zu lassen. Was wäre da passender als ein Mordfall?
So habe ich schließlich begonnen, mir meinen größten Wunsch auf eine zugegeben recht kindliche Weise zu erfüllen. Ich erschuf mir einen Fantasie-Freund nach Ihrem Bilde.
Es war mir eine Freude, Ihre Handschrift zu erlernen. Mein guter Freund, Thomas Wakefield, war mir dabei eine große Hilfe. Allerdings möchte ich betonen, dass er keine Ahnung hatte, wie weit ich mein kleines Spiel zu spielen gedachte. Andernfalls hätte er sicher alles daran gesetzt, mich davon abzuhalten.
Ich habe beim Genuss einer Meerschaumpfeife das imaginäre Zwiegespräch mit Ihnen geführt. Mit Ihnen gelacht, gescherzt, gestritten und über knifflige Fälle philosophiert, die allesamt ebenfalls meiner Fantasie entsprangen.
Einzig das Violinenspiel wollte mir trotz aller Mühe nicht so recht glücken. Daher begnügte ich mich damit, ein Exemplar ähnlich des Ihren zu erwerben und es lediglich in Händen zu halten, während die wundervollen Melodien aus diesem modernen Apparat drangen, den man Grammophon nennt.
In den letzten Wochen schritt die Krankheit nun rapide voran. Es wurde Zeit, den letzten Akt meines Dramas zu beginnen.
Ich empfahl Ihren Freund Dr. Watson im Savage Club und schlug vor, ihn zum Dinner einzuladen. Da ich wusste, er würde diese Einladung aus Respekt vor den Mitgliedern des Clubs nicht ausschlagen, konnte ich sicher sein, dass Sie allein in der Baker Street bleiben würden. Die Einladung an Sie verfasste ich selbst. Wohl wissend, dass Sie keinesfalls erscheinen würden, da Sie eine Abneigung gegen solche gesellschaftlichen Zusammenkünfte im Allgemeinen und elitären Clubs im Besonderen hegen. Insofern war das fehlende Alibi sicher, das Sie zum Verdächtigen machen würde. Der Eintrag in meinem Kalender, bei dem sich der „letzte Fall“ auf meine Person und nicht auf Sie bezog; Ihre Meerschaumpfeife am Tatort, von der ich hoffe, dass sie heil geblieben und nach einer Reinigung auch wieder zu verwenden ist; die Briefe, die ich allesamt selbst verfasst habe. Dies sollten die Indizien sein, die zu Ihrer Verhaftung führten, aber gleichzeitig auch die Spuren, mit denen Sie den Fall lösen und mich entlarven konnten.
Da ich selbstverständlich nie zulassen würde, dass Sie ernsthaft wegen meiner kleinen Inszenierung in Bedrängnis geraten, habe ich diesen Brief an Thomas geschickt, damit er Sie spätestens achtundvierzig Stunden nach meinem Tod entlasten kann. Doch bis dahin werden Sie den Fall sicher bereits gelöst haben. Ich bin stolz, Holmes, von Ihnen überführt worden zu sein und danke Ihnen, dass Sie meinen Tod zu einem letzten Abenteuer gemacht haben.
Ihr treuer Verehrer
Sir Hugo, Earl von Beddingfurth
Eine Ewigkeit standen wir vier beieinander. Alle mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt. Lestrade konnte keinerlei Verständnis für Sir Hugo aufbringen. Vermutlich fühlte er sich schlicht in seiner Ehre gekränkt, dass der Earl ihn mit den Indizien an der Nase herumgeführt hatte. Dr. Wakefield bedauerte den Verlust seines Freundes und ihm nicht besser zur Seite gestanden zu haben. Holmes und ich hingegen empfanden trotz aller Ängste und Sorgen, die wir in den beiden vergangenen Tagen durchgestanden hatten, große Bewunderung für Sir Hugos Intellekt. Außerdem war Holmes sichtlich gerührt über eine derartige Verehrung seiner Person. Es tat ihm leid, die Gelegenheit verpasst zu haben, diesen Mann näher kennenzulernen.
Wenn ich daraus jedoch die Hoffnung ableitete, ihn fortan
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