Holz und Elfenbein
1
Das Erste, das Alexis Arrowfield immer auffiel, wenn er an einen neuen Ort kam, war der Geruch. Der Geruch, der frisch geputzten Hotelzimmer, mit denen er als Kind so reichlich Erfahrung gemacht hatte. Oder der schwache Geruch nach kaltem Weihrauch, wenn er eine Kirche betrat und davon hatte er schon viele betreten. Der himmlische Duft von frischgebackenem Kuchen, wenn er seine Großeltern in England besucht hatte.
Hier jedoch roch es so penetrant nach frischer Farbe und Lösungsmitteln, dass man davon regelrecht Kopfschmerzen bekam und Alexis am liebsten sofort die Packung Aspirin aus seinem Koffer holen würde. Er wusste es sofort: Er würde diesen Ort nicht mögen.
Mit einem müden Seufzen stellte er die Reisetasche auf den Boden und sah sich genauer im Eingangsbereich des Konservatoriums um. Es war ein Gebäude, das man gut und gerne als ›alt ehrwürdig‹ bezeichnen konnte. Diese Mauern wachten bereits seit mehr als zweihundert Jahren über die jungen Musiker, die hier studierten. Über diese Marmortreppen waren schon die ganz Großen der Musikwelt geschritten.
Im Moment jedoch liefen nur ganz gewöhnliche Schüler die Treppen hinunter, viele mit ihren Instrumenten oder Notenblättern unter dem Arm. Es war Mittagszeit und sicherlich strömten sie alle in die Mensa. Alexis hätte sich ihnen gerne angeschlossen, denn seit den frühen Morgenstunden als er in das Flugzeug gestiegen war, hatte er nichts mehr gegessen.
Es war nicht so, dass er Flugangst hätte, nur so richtig wohl fühlte er sich mehrere Tausend Meter über dem Erdboden auch nicht. Die ständigen Anzeigen auf den kleinen Plasmabildschirmen der Passagiere, die über Geschwindigkeit, Höhe und Außentemperatur informierten, trugen auch nicht gerade dazu bei seine Anspannung zu mildern.
Alexis schulterte erneut seine Tasche und schleifte den Koffer hinter sich her. Er suchte sich einen Weg durch das Gedränge von Menschen zum Sekretariat. Als er zum dritten Mal angerempelt wurde, riss ihm der Geduldsfaden. Er packte den erstbesten Student am Ärmel und erkundigte sich nach dem Weg. Dafür, dass seine Laune nicht die beste war, riss er sich noch zusammen und war ausgesucht freundlich. Der junge Mann wollte zuerst zu einer Antwort ansetzen, aber dann stockte er und seine Augen weiteten sich vor Überraschung: »Sie, sie sind... du bist doch... Alexis Arrowfield!«
Nur mit Mühe verkniff sich Alexis den Drang mit den Augen zu rollen. ›Nein, nicht das‹, flehte er stumm. Nicht jetzt, nicht mit leerem Magen und dem dringenden Bedürfnis sich unter eine heiße Dusche zu stellen, um sich wieder einigermaßen zivilisiert zu fühlen. Nicht, ohne eine halbe Packung Aspirin genommen zu haben. Doch es half nichts, es hätte ihm doch klar sein müssen, dass sie ihn erkennen würden. Außerdem wollte er nicht schon an seinem ersten Tag seinem Ruf als Exzentriker und arroganten Briten gerecht werden. Also lächelte er nur schwach und nickte zur Bestätigung.
»Hi, ich bin Kevin.« Überschwänglich wurde Alexis‘ Hand geschüttelt. »Ich bin ein großer Bewunderer von dir.«
› Oh, bitte nicht‹, flehte Alexis in Gedanken weiter. Genau deshalb, genau aus diesem Grund, liebte er seinen vermeintlichen Ruf, des unnahbaren, überheblichen Musikers. Solche Bewunderer hielten dann für gewöhnlich Abstand, was sich sehr lindernd auf seine Nerven und seine Laune auswirkte. Doch er hielt an seinem Vorsatz fest und deshalb erwiderte er den Händedruck mit aller gebotener Höflichkeit.
»Freut mich Kevin. Bitte, wo ist hier das Sekretariat?«, fragte er nochmals mit Nachdruck.
»Das ist im Nebengebäude untergebracht. Am besten zeige ich es dir, ich habe sowieso Pause«, bot Kevin hilfsbereit an und Alexis kam nur zu gerne auf dieses Angebot zurück.
Als sie sich auf den Weg machten, wurde er von Kevin gleich mit Fragen durchlöchert, wobei sich dieser nicht so recht entscheiden konnte, ob er beim ›du‹ blieb oder den etwas älteren Studenten nicht doch besser siezte. »Studieren Sie hier oder werden Sie unterrichten?«
»Wirst du Konzerte geben und selbst Unterricht erteilen?«
»Wohnst du auf dem Campus?«
Alexis beantwortete die Fragen mit knappen Antworten. Ja, er würde die nächste Zeit an der Hochschule studieren. Noch war seine Ausbildung zum Konzertorganisten nicht abgeschlossen. Hier hatte sich die Elite der Musikwelt versammelt, nicht nur bedeutende Organisten, sondern vor allem auch berühmte Pianisten hatte diese Schule hervorgebracht.
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