Sieben Leben
Leben Nr. 1: Quereinsteiger Ein
Leben als Schriftsteller
Was für ein Tag! Es war so mild, dass ich meinen Mantel für
die paar Schritte zum Eingang im Wagen ließ. Die kleinen gelben Kieselsteinchen
knirschten angenehm unter meinen Füßen. Im Gesicht spürte ich die wärmende
Kraft der Sonne, die von einem avalonblauen Himmel auf mich herab lächelte. Ein
paar Krokusse steckten ihre Köpfe aus den gepflegten Rasenstücken längs des
Weges. Oder waren das Osterglocken? Ehrlich
gesagt, ich hab’s nicht so mit Blumen. Egal,
auf jeden Fall ganz schön verrückt für Anfang Februar.
Verrückt war auch die Situation, die mich an diesem Morgen
zu einem charmanten Landgasthof im Taunus geführt hatte, umgeben von den
Liebreizen einer scheinbar unberührten Natur und doch keine zwanzig Minuten vom
hektischen Treiben des Stadtzentrums mit seinen Bankentürmen, lärmenden Menschen
und verstopften Kreuzungen entfernt.
Ich war Schriftsteller. Gut, angehender Schriftsteller. Wäre
ich schon auf dem Zenit meiner Schaffenskraft angelangt, hätte ich mich nicht mit
Kieseln und vorwitzigen Blümchen abgegeben, sondern mich lieber an einer
sparsamen, gleichwohl lebendigen Skizze des hinreißenden Wesens an der
Rezeption versucht, das mir ein vielversprechendes Lächeln schenkte, als ich die
Schenke betrat. Den Landgasthof hätte ich gar nicht erwähnt, sondern einfach
die hölzernen Wagenräder nachgezeichnet, die gemeinsam mit einem alten
Messingschild die Hauswand zierten. Zur Abrundung hätte ich vielleicht einen
schäumenden Bierkrug auf das verwitterte Schild graviert.
Im Kopf der geneigten Leserschaft wäre von alleine ein
idyllisches Bild ländlicher Gastlichkeit entstanden.
Und der Himmel wäre nicht in avalon blau gehalten, dem
etwas blassen Blauton aus dem letzten Opel-Prospekt, sondern in einem
majestätischen montegoblau-metallic aus der neuen BMW-Kollektion, wo
blau ja quasi Bestandteil des Firmenauftritts war, wenn nicht gar das
Selbstverständnis der ansässigen Bevölkerung. Auch wenn der Himmel, um den es
hier und heute ging, immer noch ein hessischer Himmel war, dessen Blau nun mal
über Frankfurt und Rüsselsheim und Wiesbaden erstrahlte und eben nicht über
München.
Schreiben hatte mir immer
Spaß gemacht. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, Journalismus zu studieren,
um dann doch bei Betriebswirtschaft zu landen.
Ich hatte gerade das Vordiplom hinter und eine Sinnkrise vor
mir. Tat ich wirklich das Richtige?! War ich wirklich der geborene
Wirtschaftsführer? Oder schlimmer: War ich vielleicht der geborene
Sachbearbeiter?
Ich beschloß, eine Auszeit zu nehmen, in der ich mich dem
Schreiben widmen würde. Auszeiten waren in unseren Studentenkreisen nichts
Ungewöhnliches. Ich würde einen belletristischen Überraschungserfolg landen und
dann mit einem massentauglichen Serienroman weltberühmt werden. Wenn alle
Stricke rissen, konnte ich immer noch das Studium fortführen und meine Karriere
in der Wirtschaft starten.
Um allen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die in dieser
Entscheidung mangelndes Urteilsvermögen in Bezug auf den Ernst des Lebens zu
erkennen glaubten, beschloß ich, dass ich von meiner Schreibkunst auch leben
würde. Von Anfang an! Da es nicht zuletzt ich selbst war, den es zu überzeugen
galt, wies ich folgerichtig alle gutgemeinten Ansätze, mich wieder auf den
rechten Weg zurückzuführen, von mir und stürzte mich Hals über Kopf ins
Abenteuer.
Mit meiner betriebswirtschaftlichen Vorbildung erfaßte ich
schnell, dass Schreiben und Geld verdienen zwei Seiten einer
Medaille waren, die sich nicht so leicht in Einklang bringen ließen, jetzt wo
sowohl Bafög als auch die elterliche Unterstützung erst mal wegfielen. Meine
ersten Schritte im Lokalteil der hiesigen Tageszeitung erfüllten mich zwar mit
Stolz, aber als Freier Autor schaffte ich es auf diese Art und Weise kaum, auch
nur meine Verpflegung dauerhaft sicherzustellen. Von Auto und Miete ganz zu
schweigen. Ich besaß ein paar Ersparnisse, aber die würden nicht ewig reichen.
Ich würde die Zeit bis zu meiner Entdeckung irgendwie überbrücken müssen.
Als Student hatte ich mich im Nebenjob in der Lagerhalle
eines großen Maschinenbauers verdingt, was überraschend gut bezahlt wurde. Aber
ich verwarf den Gedanken sogleich wieder. Ich wollte schreiben - und ich würde
schreiben.
Wieder kam mir mein universitäres Halbwissen zu Gute. Was
macht ein Unternehmer, dessen Produkte sich nicht wie geplant
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