Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano
sprangen die Kinder hinten auf die Ladefläche. Johlend brausten sie los.
Nur Kyra blieb schweigsam. Verstohlen blickte sie auf ihren Unterarm, doch die Sieben Siegel, die sie sonst vor jeder Gefahr durch übernatürliche Mächte warnten, blieben unsichtbar.
Vielleicht hatte Nils ja doch Recht. Es war Schwefel, nichts sonst.
Trotzdem hatte sie das seltsame Gefühl, dass der Gestank ihnen folgte – eine unsichtbare Faust, die keines ihrer Opfer jemals wieder loslassen würde.
Vorzeichen
Doktor Richardson stand am Tor des Elektrozauns und winkte den Freunden zu.
»Sie tut so, als würde sie uns zuwinken«, sagte Chris, als der Professor den Jeep anhielt und wartete, bis das Tor zur Seite glitt. »Dabei sieht sie in Wirklichkeit nur deinen Vater an.«
Kyra schnitt eine Grimasse. »Mein Vater weiß gar nicht, was Frauen sind«, sagte sie.
»Das hab ich gehört, junge Dame«, ertönte es vergnügt vom Fahrersitz.
Lisa kicherte.
Kyra streckte ihrem Vater die Zunge heraus. »Ist doch wahr … Die gute Mrs Richardson ist ganz versessen darauf, sich mit dir über ihre Forschungen zu unterhalten.«
»Wer sagt denn, dass wir das nicht längst getan haben?«, gab der Professor mit Unschuldsmiene zurück.
»Ihr habt –?«
»Uns über ihre Forschungen unterhalten, allerdings«, erwiderte ihr Vater ernsthaft. »Wie es unter Wissenschaftlern so üblich ist.«
»Wie es unter Wissenschaftlern üblich ist«, äffte Kyra ihn so leise nach, dass nur ihre Freunde es verstehen konnten. Die anderen grinsten.
»Wenn er sie heiratet«, sagte Nils augenzwinkernd, »kannst du dich Kyra Rabenson-Richardson nennen.«
Lisa verzog das Gesicht. »Doppelnamen find ich affig.«
Als Kyra aufblickte, sah sie, dass ihr Vater ihr im Rückspiegel zuzwinkerte. »Ist das jetzt schon die Pubertät?«, fragte er.
»Frag Doktor Richardson. Frauen kennen sich mit so was besser aus.«
»Ja, vielleicht sollte ich das tun. Und ich werde sie bitten, sich die restlichen Ferien über um euch zu kümmern.«
Nils raufte sich in gespielter Verzweiflung die Haare. »Oh nein, nur das nicht! Seht euch nur ihre Klamotten an.«
Während der Jeep losfuhr und über die Stahlschiene des Tors rumpelte, schauten sich die vier Freunde nach der Amerikanerin um. Sie war eigentlich eine recht attraktive Frau Ende dreißig. Allerdings hatte sie eine fatale Vorliebe für zitronengelbe Kleidungsstücke. Im Augenblick trug sie gelbe Shorts und ein enges gelbes T-Shirt. Einen gelben Pullover hatte sie sich locker um die Hüfte gebunden. Auf ihrer Nase saß ein gewaltiges Brillengestell.
»Warum kauft die sich keine Kontaktlinsen?«, fragte Lisa naserümpfend.
Professor Rabenson hob belehrend den Zeigefinger. »Brillen verleihen Charakter. Das solltest du dir merken, kleines Fräulein.« Er drückte auf eine abgegriffene Fernbedienung, die vorne auf den Armaturen lag. Das Schiebetor begann sich knirschend zu schließen.
Doktor Richardson blieb winkend hinter ihnen zurück. Vor dem Dunkelgrün des Parkdickichts leuchtete sie in ihrer gelben Kleidung wie ein Kanarienvogel.
»Was untersucht die hier eigentlich?«, wollte Nils wissen.
»Das hab ich euch doch schon erklärt«, sagte der Professor.
Nils grinste. »Da muss ich gerade … na ja, abgelenkt gewesen sein.«
Professor Rabenson stieß ein tiefes Seufzen aus. »Sie schreibt an einer Arbeit über den Bildhauer Damiano. Er hat im Mittelalter hier in der Abtei gelebt. Ihr habt doch die Steinfiguren gesehen, die überall zwischen den Bäumen stehen, oder?«
»Die mit den Teufelsfratzen?«, fragte Lisa.
»Das sind Wasserspeier. Man nennt sie auch Gargoyles. Damiano war berühmt dafür. Er hat einige hundert davon geschaffen, und man kann sie noch heute an allen großen Kathedralen Europas finden. Jeder hat sich damals um Damianos Wasserspeier gerissen, vom kleinen Geistlichen über die Kardinäle der alten Weltmetropolen bis hinauf zum Papst persönlich. Damiano war Mönch, aber zugleich wurde er einer der reichsten Männer seiner Zeit.«
»Nur durch diese … Gargäuls?«, fragte Chris.
»So spricht man sie aus, ja. Geschrieben G-A-R-G-O-Y-L-E-S.« Der Professor lächelte Chris im Rückspiegel an. »Damiano war der unumstrittene Meister der Wasserspeier. Dieses Kloster war bis unter die Dächer voll davon. Es heißt, sie standen überall, auf jedem Giebel, jeder Mauer, vor jeder Tür. Die meisten sind in Museen auf der ganzen Welt verschwunden, aber eine Hand voll steht noch immer hier in San
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